Edgar Reitz

Biografie

Edgar Reitz kam als erstes Kind seiner Eltern am 1. November 1932 in Morbach zur Welt. Sein Geburtshaus steht am Marktplatz in der Ortsmitte und beherbergt heute das „Hochwald-Café„. Die Mutter, gelernte Modistin, kümmerte sich um Edgar und seine beiden Geschwister Heli und Guido. Der Vater setzte den Beruf des Großvaters, der Dorfschmied in Hundheim (heute Ortsteil von Morbach) war, nicht fort, sondern erlernte das Uhrmacherhandwerk. Der Großvater mütterlicherseits war Streckengeher (er lief eine Bahnstrecke ab und kontrollierte die Gleise auf Schäden und behob sie). Unweit vom Geburtshaus erbaute die Familie ein Haus mit Geschäftsräumen. Später lebte und arbeitete Edgar Reitz‘ Bruder Guido dort als Uhrmacher. Nach dessen Tod wurde das Haus umgebaut und bietet Besuchern ein Kino, Café und eine kleine Ausstellung an.

Reitz besuchte das spätere Herzog-Johann-Gymnasium in Simmern. Gefördert durch seinen Deutschlehrer Karl Windhäuser beschäftigte er sich mit dem Theaterspiel und dessen Inszenierung. Er beginnt mit dem Schreiben von Gedichte, Erzählungen und kleinen Theaterstücken. Seinen Lehrer proträtierte er später in der Rolle des Lehrers von Hermann Simon in HEIMAT und DIE ZWEITE HEIMAT. Er besucht viele Filmvorstellungen im Kino. Da er die deutschen Nachkriegsproduktionen ablehnt, lernt er den französischen und italienischen zeitgenössischen Film kennen und schätzen. Nach dem Abitur 1952 studierte er zunächst auf Wunsch des Vaters Elektrotechnik in München, entschied sich jedoch für die Studienfächer Germanistik, Publizistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft. Er wird Mitherausgeber einer literarischen Zeitschrift. Er erhält Zugang zur Avantgarde und entdeckt dessen Verbreitung in Musik, Kunst Film und Literatur. diese Begeisterung wird ihn zeitlebens nicht los lassen und hat großen Einfluss auf sein weiteres Schaffenswerk. Er ist, obwohl kein Musiker, von der Musik fasziniert und sieht Parallelen zur Filmkunst. Unittelbar nach Antritt seines Studiums in München gründet er mit anderen das „Studentische Zimmertheater“, das später zur Studiobühne an der Universität München wird.
Die Filmkunst treibt ihn an, autodidaktisch dem Umgang mit der Technik des Film zu erlernen. er arbeitet ab 1953 als Kamera-, Schnitt- und Produktionsassistent.

Bereits ein Jahr später entsteht das erste Filmprojekt Gesicht einer Residenz. Der 19 minütige Film, den er zusammen mit Bernhard Dörries und Stefan Meuschel erstellte (beide finde ihre Darstellung in DIE ZWEITE HEIMAT wieder), zeigt die Ruine der Münchener Residenz; ein Dokumentarfilm der auf die Ausdruckskraft von Musik und Bildern der Zerstörung setzt.

Ab 1962 war er Mitglied der „Oberhausener Gruppe“ um Alexander Kluge. Bei den Kurzfilmtagen 1962 erklärten die Jungfilmer in einem Manifest „Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.“ Die PRessekonferenz dazu stand unter dem Titel „Papas Kino ist tot“. Fortan wurde auch in Deutschland das Konzept des Autorenfilms populär, der in den Folgejahren wesentlich durch Edgar Reitz mitgeprägt wurde.
Im Jahr 1962 wurde er Leiter Experiment und Entwicklung bei der Firma Insel-Film. Gemeinsam mit Alexander Kluge gründete er 1963 das mit der Hochschule für Gestaltung Ulm verbundene „Institut für Filmgestaltung“. Dort lehrte er Regie und Kameratheorie bis zur Schließung der HfG 1968.

Sein Spielfilm Mahlzeiten aus dem Jahr 1967 erhielt auf dem Festival in Venedig die Auszeichnung als bestes Erstlingswerk.

1971 gründete er in München die Edgar Reitz-Filmproduktion (ERF).

Mit Alexander Kluge dreht er 1974 den Film In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod.
Im Jahr 1978 dreht Reitz den Kostümfilm Der Schneider von Ulm.

In den 1970/80er Jahren publizierte Reitz zahlreiche Bücher und Artikel über Filmtheorie und Filmästhetik, darüber hinaus auch Erzählungen, Essays, Lyrik und literarische Fassungen seiner Filme.

Der in der Ausstattung teuere Historienfilm floppte an der Kinokasse. Privat und beruflich finanziell schwer angeschlagen himt Reitz das Angebot eines Freundes an, in dessen Haus auf Sylt einige Zeit zu verbringen. Er will dort sein Leben neu ordnen und über seine berufliche Zukunft nachdenken. Reitz sieht dort die Ausstrahlung der US-Serie „Holocaust“ und ist negativ beeindruckt über dessen Umsetzung. Durch einen Jahrhundertwinter, bei dem alle Verbindungen zur Insel zum Erliegen kommen, ist er gezwungen dort im selbst gewählten „Exil“ auszuharren. Er beginnt, motiviert durch die US-Serie und die Reflexion der eigenen Geschichte und Herkunft mit dem Manuskript zu HEIMAT – eine deutsche Chronik. Zur Recherche und Stoffentwickung geht er zusammen mit dem Auto Peter Steinbach auf Spurensuche in seine eigene Heimat, den Hunsrück.

Aus dieser Vorarbeit entsteht der Dokumentarfilm Geschichten aus den Hunsrückdörfern (1981).
1984 feiert HEIMAT Premiere und wird ein wahrer „Straßenfeger“ bei der TV-Ausstrahlung in der ARD.

Die Kritikter sind voll des Lobs und zahlreiche deutsche und internationale Preise werden verliehen.

Beflügelt durch den Erfolg und ausgestattet mit finanziellen Mitteln aus Filmförderung und von TV-Anstalten entsteht direkt im Anschluss DIE ZWEITE HEIMAT – Chronik einer Jugend. 

1992, als die Reihe in der ARD ausgestrahlt wurde, haben sich die Sehgewohnheiten bereits geändert und das Privatfernsehen hat Einzug gehalten. Auch sind die Inhalte (Stufentenleben der 60er Jahre in München) einem breiten Publikum in Deutschland nicht mehr in dem Maße vermittelbar, wie es sich Reitz und die Verantwortlichen der Sender gewünscht hätten. Die Quoten erreichen die Höhen von HEIMAT nicht mehr. Im Ausland dagegen feiert DIE ZWEITE HEIMAT wieder Erfolge.

1995 gründete Edgar Reitz das „Europäische Institut des Kinofilms (EIKK)“ in Karlsruhe mit. Im selben Jahr wurde er zum Professor für Film an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe berufen.

Reitz setzt seine Reihe unbeirrt fort und will mit HEIMAT 3 die Geschichte der Wendezeit in Deutschland erzählen. Die Freiheiten in der Stoffentwicklung gibt es nun nicht mehr. Redaktionen und Dramaturgen der finanzierenden Sender fordern immer neue Drehbuchentwürfe. So entsteht eine künstlerisch sehr reglementierte Fortsetzung. Der Sender verlangt von Reitz drastische Kürzungen in der Sendefassung. Ganze Erzählstränge und Figuren fallen weg. Auffällig in verändertem Schnitt und Erzählweise braucht es für den Zuschauer, der Reitz‘ episches Erzäheln gewöhnt ist, viel Eingewöhungszeit. Das ist das Fernsehpublilum nicht bereit zu investieren.

Als HEIMAT 3 2004 im Fernsehen läuft erreichen die Quoten die Höhen aus den 80er Jahren nicht mehr.

Die Erfahrung der Einmischung durch die TV-Anstalten bewegt Reitz dazu, nie wieder eine solche Kooperation eingehen zu wollen.

Die Räumung eines Archives in München lassen Edgar Reitz altes, bisher unveröffentliches Filmmaterial entdecken. Dies ist zu schade, um es zu entsorgen. Es handelt sich um Szenen aus alles drei HEIMAT-Teilen.

2006 wird daraus die Veröffentlichung von HEIMAT-Fragmente – die Frauen. Eine neu gedrehte Rahmenhandlung fasst die einzelnen Szenen zusammen.

Bei der Räumung des Archiv stellt man fest, dass sich das Filmmaterial über die Jahrzehnte anfängt, aufzulösen. Beginnend mit den Frühwerken beginnt eine Restauaration der Filme, die sukzesiv veröffentlicht werden.

Nach jahrelanger Vorarbeit erscheint 2012 DIE ANDERE HEIMAT, die Zeitlich von HEIMAT angesiedelt ist. Wieder ist der Hunsrück Ort der Handlung.
2015 wird die restaurierte Version von HEIMAT einer neuen Schnittfassung unterzogen und veröffentlicht, diemal unter dem Titel HEIMAT – remastered.

Inzwischen sind die Rechte an den Filmen in die Edgar Reitz Filmstiftung übergegangen. Ziel der Stiftung ist die Förderung des filmischen Nachwuches.

Im Jahr 2022 fand die Premiere der restaurierten und digitalisierten Version von DIE ZWEITE HEIMAT im ARRI-Kino in München statt. Damit ist dieser Film nun in 4K verfügbar.

Edgar Reitz ist in dritter Ehe mit der Sängerin und Schauspielerin Salome Kammer verheiratet und lebt im Münchner Stadtteil Schwabing, am Rand des Englischen Gartens.

Quellen:
Wikipedia

– Reinhold Rauh: Edgar Reitz. Film als Heimat, München (Heyne Filmbibliothek) 1993, ISBN 3-453-06911-0
– Edgar Reitz, Kino. Ein Gespräch mit Heinrich Klotz und Lothar Spree. Schriftenreihe der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe Band 3, Stuttgart 1994, ISBN 3-89322-650-8
– Edgar Reitz: Heimat 3. Chronik einer Zeitenwende, München (Knaus) 2004, ISBN 3-81350-248-1
– EDGAR REITZ. DIE GROSSE WERKSCHAU. EIN HANDBUCH, Marburg (Schüren), ISBN 978-3-7410-0323-3.
– diverse Interviews
– persönliche Gespräche

Interview

Der Filmemacher Christian Schwochow im Gespräch mit Edgar Reitz im Jahr 2019. Eines der besten Interviews mit ihm.


Filmografie

1954Gesicht einer Residenz(Dokumentarfilm)
1954Auf offener Bühne(Dokumentarfilm)
1957Schicksal einer Oper(Dokumentarfilm)
1959Verkehrserziehungsfilme
1959Yucatan(Dokumentarfilm)
1959Krebsforschung I / II(Dokumentarfilm)
1960Baumwolle(Dokumentarfilm)
1960Ärztekongress(Dokumentarfilm) unveröffentlicht
1960Moltopren I-IV(Dokumentarfilm)
1961Kommunikation. Technik der Verständigung(Dokumentarfilm/ Experimentalfilm)
1961Post und Technik(Dokumentarfilm)
1962Einer wie du und ich aus Europa(Filmbericht) Arbeit von 5 Regisseuren über europäische Länder
1963Geschwindigkeit. Kino eins(Experimentalfilm)
1964/65Werbe- und Industriefilme(div. Auftraggeber)
1965Varia Vision. Ein filmisches Perpetuum Mobile(Experimentalfilm/ Projektions-installation )
1965Binnenschiffahrt(Dokumentarfilm)
1966Mahlzeiten(Spielfim)
1966Die Kinder(Vorfilm zu Mahlzeiten)
1966Abschied von gestern(nur Kamera, Film von A. Kluge)
1966/67Schlagerfilmeunveröffentlicht
1967FußnotenFragmente aus „Mahlzeiten“
1967Karin Rohn. Gymnastik für alte Leute(Dokumentarfilm)
1968Filmstunde(Dokumentarfilm) E. Reitz führte pädagogisches Experiment im Bereich Medien in einer Schulklasse durch.
1968Feuerlöscher E. A. Winterstein(nur Kamera, Film von A. Kluge)
1968Uxmalunvollendet, unveröffentlicht
1969Cardillac(Spielfilm)
1970Geschichten vom Kübelkind(Episodenfilme) mit Ula Stöckl
1971Das goldene Ding(Spielfilm)
1972Kino zwei(Dokumentarfilm)
1973Die Reise nach Wien(Spielfilm)
1974In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod(Spielfilm, mit A. Kluge)
1975Altstadt – Lebensstadt(Dokumentarfilm)
1975Bethanien(Dokumentarfilm)
19757 Jahre – 70 Jahre(Dokumentarfilm)
1975Wir planen ein Picnic(Dokumentarfilm)
1975Wir gehen wohnen(Dokumentarfilm)
1975/76Der starke Ferdinand(Spielfilm)
1976Die Stunde Null(Spielfilm)
1978Deutschland im Herbst(Episode: Grenzstation) Gemeinsames Projekt vieler Regisseure vor dem Hintergrund des „heißen Herbst“.
1978Der Schneider von Ulm(Spielfilm)
1979Susanne tanzt(Dokumentation)
1981Geschichten aus den Hunsrückdörfern(Dokumentation)
1982Ein Denkmal für den Hunsrück. Ein paar Tage mit Edgar Reitz(Dokumentation)
1983Biermann-Film(Dokumentation)
1984HEIMAT – Eine deutsche Chronik(Spielfilm)
1985Filmgeschichten.
Die Stunde der Filmemacher
(Dokumentation)
1985/86Das Schweigen des Dichters(Spielfilm)
1987/88Der Radfahrer von San Cristóbal(Spielfilm)
1991Abschied vom Drehbuch(Dokumentation)
1992DIE ZWEITE HEIMAT – Chronik einer Jugend(Spielfilm)
1994Die Nacht der Regisseure(Dokumentation)
2002/04Schabbach ist überall(Dokumentation)
2004HEIMAT 3 – Chronik einer Zeitenwende(Spielfilm)
2006HEIMAT-Fragmente: die Frauen(Spielfilm)
2007Ortswechsel(Multimediaprojekt)
2013DIE ANDERE HEIMAT – Chronik einer Sehnsucht(Spielfilm)
2015HEIMAT remastered(Umschnitt und Digitalisierung von HEIMAT)
2022DIE ZWEITE HEIMAT (Digital restauriert)
2024Filmstunde_23Dokumentarfilm auf Basis der FILMSTUNDE s.o.)

Auszeichnungen

2024Berlinale Kamera für sein Lebenswerk
2022Empfang in Simmern und Eröffnung des Edgar-Reitz-Filmhauses
2022Sonderpreis zum 75-jährigen Jubiläum der Fondazione Ente dello Spettacolo.
2020Deutscher Filmpreis – Ehrenpreis für Edgar Reitz für herausragende Verdienste um den Deutschen Film
2016Bayerischer Maximiliansorden
2016Ödön-von-Horváth-Preis
2016METROPOLIS Regiepreise für das Lebenswerk
2016Werner-Blindert-Preis (Geschichtsverein Prümer Land)
2016Lifetime Achievement Award der Home-Entertainment-, Film- und Fernsehbranche
2014Gilde Filmpreis der Kinobetreiber
2014Deutscher Filmpreis in Gold für DIE ANDERE HEIMAT (Bester Film, bestes Drehbuch, Beste Regie)
2014Leserwahl zum Film des Jahres der Zeitschrift epd Film für DIE ANDERE HEIMAT
2014Ehrenpreis des Nürnberger Filmfestivals Türkei/Deutschland
2014Film des Jahres 2013 und bester Kameraarbeit – Preis der Deutschen Filmkritik
2014Bayerischer Filmpreis für DIE ANDERE HEIMAT
2013Hans-Vogt-Filmpreis der Hofer Filmtage
2013Ehrenbiber der Biberacher Filmfestspiele
2012Ehrung des Bundespräsidenten Gauck anlässlich des 80. Geburtstages für Edgar Reitz im Rahmen einer Soiree
2010Ernennung zum „Officier de l’ordre des arts et des Lettres“ mit Verleihung eines Ordens (entspricht „Großem Bundesverdienstkreuz) durch französichen Kulturminister.
2010Stern auf dem „Boulevard der Stars“ in Berlin.
2009DVD “Edgar Reitz – Das Frühwerk” wird zu einer der zwanzig besten DVDs 2009 von der Wochenzeitung „Die Welt“ gewählt.
2009Kulturgroschen des Deutschen Kulturrates
2008Ehrenmedaille in Gold des Landkreises Birkenfeld
2007Platz 41 in der Wahl der “100 größten Rheinland-Pfälzer” vom SWR.
2007Verleihung des Hans-Abich-Preises auf dem Fernsehfilm-Festival Baden Baden
2007Konrad-Wolf-Preis der Akademie der Künste, Berlin
2007Premio all’Opera d’Autore, Italien
2006Ehrendoktor der Gutenberg-Universität Mainz
2006Ehrendoktorwürde der Universita Degli studi Perugia, Italien
2006Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
2005Robert Geisendörfer-Preis
2005Berufung in die Jury der Filmfestspiele von Venedig
2005Berufung zum Botschafter des Landes Rheinland-Pfalz der Fußball-WM 2006
2005Justinus-Kerner-Preis
2004Carl Zuckmayer Medaille
2004Viareggio „Fellini Platinuim Avard“ für Heimat 3
2004Master Of Cinema
2002Ehrenbürgerschaft Simmern
2000Staatskunstpreis des Landes Rh.-Pf.
1996EUROFIPA d’Honneur pour lènsemble de son oevre (Ehrenpreis für sein Gesamtwerk) Cannes
1993Kultureller Ehrenpreis der Landeshauptstadt München
1993Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
1993«David di Donatello» (höchster Filmpreis Italiens für HEIMAT DUE)
1985Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz