Regie
Edgar Reitz
Drehbuch
Edgar Reitz,
Kamera
Christian Reitz
Peter Petridis
Stefan von Borbély
Ausstattung
Peter Junghans
Schnitt
Horst Reiter
Michael Tischner
Christian Singer (Special Effect Editing)
Uwe Klimmeck
Ton
Rüdiger Pedersen
Gernot Funke
Musik
Nikos Mamangakis
Aljoscha Zimmermann
Mitwirkung
Volker Schlöndorff
Helma Sanders-Brahms
Margarethe von Trotta
Wolfgang Kohlhaase
Frank Beyer
Hans Jürgen Syberberg
Peter Schamoni
Alexander Kluge
Peter Fleischmann
Leni Riefenstahl
Wim Wenders
Wolfgang Becker
Hans W. Geissendörfer
Peter Sehr
Rudolf Thome
Werner Herzog
Hanna Schygulla
Detlev Buck
Reinhard Hauff
Jeanine Meerapfel
Michael Ballhaus
Vadim Glowna
Peter Lilienthal
Produktionsfirma
Edgar Reitz Filmproduktion (München)
British Film Institute TV (London)
Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) (Mainz)
Arte G.E.I.E. (Straßburg)
Premiere TV (Hamburg)
Produzent
Robert Busch
Redaktion
Dietrich Mack,
Karl-Heinz Staamann
Executive Producer
Colin MacCabe
Esther Johnson (BFI Production Manager)
Aufnahmeleitung
Raidar Huber
Christiane Schulze
Länge
87 min
Format
35mm, 1:1,37
Bild/Ton
Farbe, Ton
Uraufführung
Berlin: 12-Februar-95
Konzept
DIE NACHT DER REGISSEURE ist durch eine Initiative des British Film Institute (BFI) zustande gekommen, an der sich erfahrene Spielfilm-Regisseure der ganzen Welt beteiligten. Die vom BFI im Herbst 1993 gestellte Aufgabe hieß, zum 100. Geburtstag des Kinos einen ganz persönlichen Film über die Filmgeschichte des eigenen Landes zu realisieren. Es beteiligten sich Filmemacher wie Stephen Frears, Martin Scorsese, George Miller, Jean-Luc Godard, Bernardo Bertolucci, Nagisa Oshima, Krzystof Kieslowski und Nikita Mikhalkov. Keiner der Beteiligten wußte vom anderen, wie er seinen Beitrag gestalten würde. Ein spannendes Unternehmen, denn es lief auch darauf hinaus, sich gegenseitig mit den Filmen zu überraschen.
Auch das Finanzierungskonzept war originell: Das BFI sammelte die weltweiten Rechte an allen Beiträgen ein und verteilte sie so, daß jeder Produzent für sein Land die Fernsehrechte an allen anderen Programmen erhielt. So konnten wir durch Verkauf des Gesamtprogramms an ZDF, ARTE und PREMIERE den größten Teil der Mittel für die Herstellung unseres Films selbst aufbringen.
Unser Beitrag über den deutschen Film stellt eine Besonderheit im BFI-Paket dar, denn wir bedienten uns zur Herstellung der neuesten digitalen Bildverarbeitungstechniken. Viele Bilder sind auch im Computer entstanden. Es war ein Experiment besonderer Art, sodann die digitalen Bilddaten auf 35mm Film-Negativ zu übertragen. So können wir nun den Film über das Kino an dem Ort präsentieren können, von dem er handelt: im Kino.
Synopsis
DIE NACHT DER REGISSEURE
Eine Utopie zum hundertsten Geburtstag des deutschen Films
von Edgar Reitz
Der Film von Edgar Reitz beschreibt eine fiktive Situation:
Am 100. Geburtstag des Kinos wird in der Stadt München eine neue Kinemathek eröffnet. Mit dem futuristischen Gebäude, das auf einem ehemaligen Parkgelände im Zentrum der bayerischen Hauptstadt steht, haben sich Filmemacher, Filmhistoriker und die Filmfreunde der Stadt einen seit Jahren gehegten Traum erfüllt. Hier findet die Filmkunst in Deutschland eine neue Heimat. In zwei Sälen, von denen der Kleinere der Geschichte des Kinos gewidmet ist, und der Größere Schauplatz für das Kino der Gegenwart werden soll, wird heute das erste Kinojahrhundert gefeiert. Es ist eine der Sensationen an diesem Abend, daß über dreißig deutsche Regisseure, die Jungen, die Alten, die Berühmten und die weniger Bekannten zusammenkommen, um den Kinogeburtstag gemeinsam zu feiern.
Enno Patalas, Direktor der fiktiven Kinemathek, führt die Regisseure durch sein neues Haus, zeigt ihnen die überwältigende Bild- und Tontechnik, die „Kabinette“, in denen auf Wunsch jeder Film der Filmgeschichte vorgeführt werden kann, er zeigt ihnen die Cafes und Kommunikationsräume, das Restaurant und die Bibliothek und schließlich seine Filmsammlung, ein riesiges klimatisiertes Archiv mit über 100.000 Filmen, das „audiovisuelle Gedächtnis des 20. Jahrhunderts“, wie er seine Kopiensammlung nennt.
Im großen Saal kommen die Regisseure ins Gespräch. Sie versuchen zu definieren, was das Deutsche am deutschen Film ist, welche Rolle die deutsche Filmgeschichte in ihrer Vorstellungswelt spielt, und wie man sich als deutscher Filmemacher im Ausland fühlt. Man spricht über Europa und über Amerika, man spricht über sein Verhältnis zur deutschen Landschaft und zur deutschen Sprache. Ein beherrschendes Thema ist das Dritte Reich mit seiner imponierenden Filmindustrie, seiner Zerstörung der deutschen Bilder, mit den moralischen Lasten, die es einer ganzen Filmemacher-Generation hinterlassen hat. Die Regisseure sprechen über ihre eigenen Filme, über ihr Verhältnis zur internationalen Filmkultur, über das deutsche Fernweh und den deutschen Symbolismus. Sie erinnern sich an ihre Väter, die sie hassen und ihre Großväter, die aus Deutschland emigrieren mußten. Sie sprechen über ihre Liebe zu Lang, Murnau, Lubitsch, Pabst, Dudow, Dieterle, Siodmak, Ophüls oder Sirk – dies sind einige von den Regisseuren, die jene glückliche Periode des deutschen Kinos der 20er Jahre geschaffen haben und dann von den Nazis vertrieben wurden Die meisten ihrer besten Filme können nun nicht zum deutschen Film gerechnet werden.
Währenddessen sehen wir auf der Leinwand der neuen Kinemathek einen merkwürdigen Film. Er setzt sich aus den Bildern zusammen, die in den Köpfen der Regisseure auftauchen: Bilder aus ihren eigenen Filmen, aus ihren ersten Kinobesuchen, aus Nazifilmen, Stummfilmen des Expressionismus, aus Schauspieler-Porträts, aus Erinnerungen an früh verstorbene Kollegen (R.W. Fassbinder, K. Wolf), aus Bildern, die sie hassen und Bildern, die sie lieben.
Das Jahrhundert des deutschen Films ist durch Brüche charakterisiert. Der Staat hat sich zu allen Zeiten intensiv in die Entwicklung der Filmindustrie eingemischt. Von 1933 an haben die Nationalsozialisten systematisch die Filmkultur des deutschen Expressionismus zerstört und mit der UFA eine gewaltige Staatsproduktion aufgebaut, deren Aufgabe die Unterstützung des Dritten Reiches in allen Formen seiner Expansion war. Niemals zuvor oder danach hat der Film ein solches Monopol in der Massenunterhaltung oder in der politischen Indoktrination einer Nation besessen wie in diesen 12 Jahren bis zum Untergang des Hitlerreiches 1945. Der Bruch, der nun erfolgte, war doppelt, denn in der DDR ging die deutsche Filmgeschichte vollkommen anders weiter als in Westdeutschland. Während die DEFA in Ostberlin versuchte, an die sozialkritischen Filme der 20er Jahre anzuknüpfen, entstand in den neuen westlichen Zentren, vor allem in München eine provinzielle Unterhaltungsproduktion, die bald in tiefe wirtschaftliche Krisen geriet, weil das immer mächtiger werdende Fernsehen ihr das Publikum wegnahm.
In den späten 6oer Jahren kam es zu einem neuen Bruch. Diesmal war es ein Generationskrieg, der an den Universitäten begonnen hatte und nun auch das deutsche Kino erfaßte. Der Neue Deutsche Film mit Regisseuren wie Schlöndorff, Trotta, Kluge, Syberberg, Herzog, Wenders, Fassinder und Reitz war aus diesem Generationskrieg entstanden und gab dem deutschen Film für einige Jahre seine internationale Bedeutung zurück. Mit dem Fall der Berliner Mauer im Herbst 1989 und der Wiedervereinigung hat sich jedoch ein weiterer Bruch in der deutschen Filmkultur ereignet. Niemand kann sagen, ob die beiden deutschen Filmgeschichten zusammenwachsen werden, oder ob sie unter dem Diktat des neuen Euro-Positivismus gemeinsam untergehen werden. Zur Zeit steht es schlecht um den deutschen Film.
DIE NACHT DER REGISSEURE ist fiktiv. Es wäre zur Zeit unmöglich in Deutschland die Mittel für den Bau einer Kinemathek zu bekommen, wie sie in unserem Film geschildert wird. Also haben wir das Gebäude und sein Inneres als „virtuelles“ Bild gestaltet. Noch aussichtsloser erscheint es allerdings, die deutschen Regisseure an einem Ort versammeln zu wollen, so wie es der Film ausführlich beschreibt. Die Solidarität der deutschen Filmemacher, die in den 70er Jahren einmal legendär war, ist verschwunden und die Jüngeren würden die Älteren auslachen, wenn man sie zu einer „Nacht der Regisseure“ einladen wollte. Wir verdanken es auch hier der neuen digitalen Bildtechnik daß die Versammlung dennoch- wenn auch nur im filmischen Bild- stattfinden konnte. Zum ersten Mal konfrontieren wir uns dieser neuen Technik, die Bilder zu manipulieren und mit Hilfe der Computer Plätze und Räume zu schaffen, die noch nie ein Mensch betreten hat.
Am Ende des ersten Kino-Jahrhunderts steht, wie wir damit demonstrieren, auch die Frage nach der Wahrheit der Bilder. Das zweite Jahrhundert wird vor allem auf diese Frage neue Antworten finden müssen.
Quelle: ehemalige Internetpräsenz www.Edgar-Reitz.com