Edgar Reitz über die Entstehung

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Im Frühjahr 2007 erreichte mich eine folgenreiche Anfrage aus Italien: Ein Kinobetreiber wollte in seinem neu eröffneten Filmkunsttheater über mehrere Wochen HEIMAT zeigen, den Film, den er im Jahre 1984 auf den Filmfestspielen von Venedig gesehen hatte und den er in seinem Brief als den „besten Film aller Zeiten” bezeichnete. Welcher Filmemacher würde bei so viel Lob nicht alles dafür tun, um den Wunsch des Kinomachers zu erfüllen!? Ich begab mich sofort in mein Archiv, um nachzusehen, in welchem Zustand sich die Kopien befinden, die in den Jahren nach dem Start der Filmreihe in vielen Kinos und Festivals der Welt vorgeführt worden waren. Ich ahnte, dass diese Kopien nach zahllosen Projektionen, Transporten und Umspulvorgängen nicht mehr in bestem Zustand sein konnten, und brachte die 80 „Akte”, aus denen die Theaterkopie von HEIMAT besteht, in meinen Schneideraum zur Überprüfung. Dort stellte sich aber heraus, dass die auf „Farbpositiv” kopierten Filme nicht mehr vorführbar waren, denn im Laufe der Lagerzeit von über 25 Jahren hatten die Bilder ihre Farben komplett verloren. Alle Szenen, selbst die Schwarzweiß-Szenen, hatten sich auf den Kopien in lachsrote Monochrombilder verwandelt, denen jeglicher Kontrast fehlte. Abgesehen von zahllosen Laufstreifen und Schäden an der Perforation waren die Kopien an vielen Stellen gerissen, es fehlten ganze Szenen und die Tonspur ließ oft nur noch ein periodisches Rumpeln vernehmen.

Ich wusste, dass die Original-Negative seit Jahren im Bundesarchiv aufbewahrt wurden. Um herauszufinden, wie groß der Aufwand sein würde, im Kopierwerk neue Vorführ-Kopien anfertigen zu lassen, ließen wir uns einige Rollen des Negativmaterials ausliefern. Leider stellte aber das Kopierwerk fest, dass die ehemaligen Lichbestimmungswerte nicht mehr anwendbar waren, da auch das Negativmaterial nach den Jahren begonnen hatte, sich chemisch zu verändern.

Dieses Phänomen beruht auf unvermeidbaren photochemischen Prozessen, die dazu führen, dass Filmmaterial nach bestimmten Lagerungsfristen an inneren Zerfallserscheinungen leidet. In der ganzen Welt sind diese Verluste zum Problem für das kulturelle Erbe der audiovisuellen Medien geworden und sie lösen immer wieder Alarm bei den Verantwortlichen der Archive und Kinematheken aus. Es sind vor allem die blauen und grünen Farbpigmente, die sich in den photographischen Schichten verändern und mit der Zeit ganz verschwinden. Was übrigbleibt, sind die bleichen Rottöne, die wir auch von unseren verblichenen Farbphotos im Familienalbum kennen. Was die Verfärbungen im bewegten Filmbild aber noch schlimmer erscheinen lässt, ist, dass diese Veränderungen nicht in allen Filmrollen gleichzeitig und nicht gleich intensiv stattfinden, sodass wir im laufenden Bild ein unregelmäßiges „Pumpen” der Farben und Bildinhalte zu sehen bekommen. Hinzu kommt, dass sich Staubkörnchen, Schimmelflecken, Fingerabdrücke oder Klebstoffreste an den Schnittstellen mit der Zeit in die Filmschichten regelrecht „einfressen” und nicht mehr mechanisch beseitigt werden können. Bei Schwarzweiß-Filmmaterial ist die Lage etwas entspannter, da hier die Veränderungen viel langsamer ablaufen und hauptsächlich mechanischer Natur sind: Durch Schrumpfung des Trägermaterials verändern sich die Perforationsabstände und der Film fügt sich nicht mehr in den Transportmechanismus der Projektoren und Kopiermaschinen. Die Folge ist der bekannte schlechte Bildstand, d.h. dass die Bilder unruhig auf der Leinwand „zappeln”. Wir kennen diese Erscheinung von den alten Filmen, die oftmals nur wegen solcher Bildstandsschäden vor den Augen der Zuschauer „flimmern”.

In unserem Falle zeigte sich, dass die Aufbewahrung im Bundesarchiv einen enormen Vorteil mit sich gebracht hatte: Die Original-Negative waren infolge der optimalen Lagerbedingungen in klimatisierten Räumen weitgehend vor mechanischen Schäden bewahrt worden. Dennoch war deutlich zu sehen, dass die unvermeidlichen Verfärbungen schon begonnen hatten und dass die Beanspruchung des Materials durch die vor 20 Jahren von den Originalen erfolgte Massenkopierung auch an vielen Stellen Schäden hinterlassen hatte. Die Mitarbeiter des Bundesarchivs kennen diese Probleme sehr genau und konnten uns viele wertvolle Ratschläge für die notwendigen Rettungsmaßnahmen geben. Eines war jedoch sofort klar: Der liebenswerte Kinobesitzer in Italien konnte die Idee nicht verwirklichen, seinem Publikum nach der jahrelangen Erfolgsgeschichte mit der ZWEITEN HEIMAT („HEIMAT Due”, wie der Film in Italien hieß) nun auch die „erste” HEIMAT zu präsentieren.

In den folgenden Jahren mussten wir vielen weiteren Interessenten, die eine Wiederaufführung der HEIMAT wünschten, nur Absagen erteilen und sie mit der Nachricht trösten, dass wir versuchen würden, den Film zu retten und eine digitale Restaurierung durchzuführen. Inzwischen waren nur noch die technisch überholten DVDs auf dem Markt, die man von den alten analogen MAZ-Sendebändern der Fernsehanstalten gezogen hatte. Viele Freunde der HEIMAT beklagten sich wegen der mangelhaften Qualität, die auf einer inzwischen völlig überholten Technik des alten „Zeilenfernsehens” beruhte.

Mit der Restaurierung von Filmmaterial hatten wir bereits einige Jahre zuvor Erfahrungen sammeln können. Gemeinsam mit meinem Sohn Christian Reitz hatten wir eigens zur Restaurierung meines „Frühwerkes” ein Studio aufgebaut, in dem wesentliche Teile dieser aufwändigen Arbeit durchgeführt werden können. Dennoch ist die professionelle Filmrestaurierung sehr teuer, denn sie besteht aus unendlich vielen und zeitraubenden Arbeiten, die zumeist sorgfältige Handarbeit erfordern. Wir brauchten einige Jahre, bis es uns gelungen war, ausreichende finanzielle Unterstützung für diese Arbeiten zu erhalten. Da weder der WDR, der bei der Herstellung des Werkes unser Koproduzent war, noch die Vertriebsfirmen in der Lage waren, sich des Problems anzunehmen, gelang es uns, die Bundeskulturstiftung und die Kulturstiftung des Landes Rheinland-Pfalz als Förderer zu gewinnen. Mit Hilfe einer gemeinnützigen Filmstiftung, die ich in diesen Jahren gründete, konnten wir weitere Mittel auftreiben, um schließlich mit der Rettung der HEIMAT zu beginnen.

In den Produktions-Jahren 1980 bis 1984 war HEIMAT in zwei Fassungen entstanden, der in der ARD mehrfach ausgestrahlten 11-teiligen Fernsehfassung, sowie einer Kinofassung, die in 7 etwa gleichlange Einheiten zusammengefasst wurde. Da wir auf das 35mm Original-Negativ zurückgreifen mussten, stand uns auch nur diese für die große Kinoleinwand hergestellte Kinofassung zur Verfügung. Es war von Anfang an klar, dass diese Entscheidung, den Film für die Qualitätsanforderungen des heutigen Digital-Kinos zu bearbeiten, uns viele Zusatzprobleme bringen würde: Wir mussten auf die allererste Generation, also auf die Filmteile zurückgreifen, die bei den Dreharbeiten tatsächlich durch die Filmkamera gelaufen waren. Diese Negative lagen in zahlreichen kleinen Rollen, getrennt nach schwarzweißen und farbigen Sequenzen vor, die mühevoll nach dem Vorbild der alten Kinokopien neu geordnet und montiert werden mussten. Dabei war immer wieder der Synchronismus zu dem Soundtrack verloren gegangen, sodass wir mit Hilfe der Originaltonbänder eine Nachmontage durchführen mussten. Auch alle Blenden und Farbeffekte, Titel und Tricks mussten neu konzipiert und der ursprünglichen Absicht nach realisiert werden.

Die eigentliche Restaurierung der HEIMAT begann schon im Jahre 2009, indem wir bei der Firma ARRI Film & TV in München das gesamte Negativmaterial mit neuester Technik hochauflösend scannen ließen. Diese monatelange Arbeit erfolgt in Einzelbildern. Bekanntlich besteht ein klassischer Filmstreifen aus 24 (bzw. 25) Einzelbildern („Frames”) pro Sekunde. Bei einer Gesamtlaufzeit von ca. 16 Stunden besteht die HEIMAT aus fast 1.400.000 Einzelbildern, von denen jedes wie ein digitales Photo mehrfach eingescannt und bearbeitet werden musste. Die digitalen Filmbilder sehen anfangs nicht wie Filmbilder aus. Sie sind eigentlich nur Datensätze, die alle Informationen, sofern sie noch im Ausgangsmaterial enthaltenen sind, bereitstellen. Da die Alterungsprozesse sich in den einzelnen Teilen sehr unterschiedlich ausgewirkt haben, muss für jedes Bild eine eigene Nachbearbeitung gefunden werden. Farben, Gradationen Bildstand, Größen werden neu definiert und mit spezieller Software unterschiedlich bearbeitet. Jedes Staubkorn wird manuell markiert und durch Nachbarpixel ersetzt. Laufschrammen müssen mit Bildinformationen überdeckt werden, die man aus den Nachbarbildern errechnet, fehlende „Frames” werden durch Interpolation der Bewegungsphasen errechnet. Besondere Mühen erfordern die in den Film eingeschnittenen Duplikate, wie sie für Blenden oder Titel in der analogen Technik üblich waren. Diese Materialien altern besonders schnell und können oft kaum mehr dem übrigen Standard angeglichen werden. In solchen Fällen haben wir auf Ersatzszenen zurückgegriffen oder die Titel und Blenden neu angefertigt. Die Gefahr bei allen diesen Arbeiten ist, dass die Software-Produkte, die für diese Arbeiten auf dem Markt sind, jeden beliebigen Eingriff in das Material erlauben und dazu verleiten, dem Film völlig neue Wirkungen und Effekte hinzuzufügen. Jede einzelne Farbe kann beliebig verändert und eingefügt werden, sodass es einer besonderen Vorsicht bedarf, den Originalcharakter des Films nicht zu verfälschen. Es ging deswegen auch immer wieder darum, den Eindruck eines klassischen Films zu bewahren, denn es sollte ja aus HEIMAT nicht etwa ein Videofilm werden. Bei diesen Arbeiten konnten wir auf die Beratung ehemaliger Mitarbeiter in den Kopierwerken und die Kompetenz des Kameramanns und des Regisseurs zurückgreifen. Dieser unschätzbare Vorteil führte uns in den Arbeitsjahren immer wieder vor Augen, dass wir einen Wettlauf mit der Zeit begonnen hatten, den es zu gewinnen galt.

Nach gut drei Jahren hatte unser Restaurierungsteam unter der Leitung von Christian Reitz und seiner Firma REITZ-MEDIEN diesen gewaltigen Berg von Arbeiten abgetragen. Selbst während der Produktion des großen Spielfilms DIE ANDERE HEIMAT waren die Arbeiten in den Jahren 2011 und 2012 weitergegangen. Gernot Roll, der schon bei den Dreharbeiten 1981-1982 die Kamera geführt hatte, begleitete nun das sogenannte „Grading”. Darunter versteht man jene Arbeiten, die heute am Schluss aller digitalen Produktionen stehen: Die Farben und die Lichtstimmungen jeder einzelnen Szene werden in einem speziellen Studio korrigiert und festgelegt. Oftmals müssen Bildstimmungen und Licht grundlegend neu gestaltet werden. Bei diesen Arbeiten, die eine Fülle neuer Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, die wir früher nicht kannten, bemühten wir uns darum, unsere Erinnerung an die Dreharbeiten und damit an Farbstimmungen und Atmosphären der ursprünglichen Szenen zu mobilisieren. Auch ich nahm an diesen „Granding”-Arbeiten teil, und tauchte gemeinsam mit Gernot Roll wieder in die Bilder-Welt der damaligen Produktion ein.

Die digitalisierten und bearbeiteten Materialien des Films haben jetzt nach fast 5 Jahren Arbeit, tatsächlich die ursprüngliche Qualität zurückerhalten. Mehr noch: Manche Wirkungen, insbesondere die Übergänge zwischen Farbe und Schwarzweiß-Film konnten besser realisiert werden, als das Anfang der 1980er Jahre mit der analogen Filmtechnik möglich war. Hier konnte ich mir viele Wünsche von damals zum ersten Mal erfüllen. Es ist ja bekannt, dass ich bei allen Filmen der HEIMAT-TRILOGIE mit der Mischung von schwarzweißen und farbigen Bildsequenzen experimentiert habe. Seit ich Filme mache ist mir aufgefallen, dass Schwarzweiß-Szenen eine emotionale Wirkung aufweisen, die schwer zu erklären ist. Es ist, als könnte man tiefer in die Seele der Personen schauen, was vielleicht daran liegt, dass oberflächliches Beiwerk, wie Farben der Kostüme oder der Hintergründe nicht stören oder dass wir „Lichtbilder” zu sehen bekommen, in denen die Menschen sich in einer Hell-Dunkel-Welt bewegen, die magisch erscheinen kann. Schwarzweiß-Bilder mobilisieren die unbewussten Inhalte, vermitteln größere Nähe zu den Personen und werden mehr dem Bereich der „Erinnerung” zugeordnet. Farbbilder wiederum wirken dekorativer, deswegen oft auch „gegenwärtiger”, geben mit ihren Farbsignalen Anstoß zum bewussteren Hinsehen, wecken auf, erlauben visuelle Schönheit, regen das ästhetische Staunen an. Im digitalen Zeitalter stellt sich die Frage der Bildästhetik neu, da die Entscheidung für Schwarzweiß oder Farbe nun nicht mehr ein Wechsel des photographischen Systems bedeutet, sondern eine jederzeit verfügbare Option. Das Bild farbig oder monochrom, bzw. Schwarzweiß wiederzugeben, wurde für mich erst im digitalen Zeitalter eine selbstverständliche Gestaltungsmöglichkeit. *(s. Hierzu auch E.R. „Zeitkino”, Verlag Vorwerk 8 Berlin 2015 S. 224 ff)

Edgar Reitz