VariaVision. Unendliche Fahrt – aber begrenzt

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VariaVision
Ein Experiment für 100 Tage
(25. Juni – 3. Oktober 1965)

Produktionsdaten 
 Regie Edgar Reitz
 Regie-AssistenzHerbert Krohmann
 Drehbuch Edgar Reitz
Kommentar Alexander Kluge 
 Kamera Thomas Mauch
 Gerhard Peters
 Schnitt Barbara Schröder
 Musik Josef Anton Riedl
 Weitere Titel Unendliche Fahrt – aber begrenzt (Weiterer Titel, DE)
 VariaVision. Unendliche Fahrt – aber begrenzt (Originaltitel, DE) 
 Produktionsfirma Insel-Film GmbH & Co. (München)
 Edgar Reitz Filmproduktion 
 Produzent Norbert Handwerk
 Produktionsleitung Borwin Blohm
 Aufnahmeleitung Herbert Krohmann
  Länge 52 min 30 sec, 16 Loops
 Format 35mm
 Bild/Ton s/w + Farbe
 Uraufführung München: 25-Juni-65

Beschreibung

Ein großer, abgedunkelter, rechteckiger Raum. Über den Köpfen der Zuschauer schweben in Viererreihen insgesamt 16 Leinwände, die so angeordnet sind, daß in jeder der 4 Reihen jeweils 2 Cinemascope Bilder und 2 Normalfor-matige Farbbilder vorkommen. Die dazugehörigen 16 Filmprojektoren befinden sich auf einer Röhren-Brücken-Konstruktion in der Hallendecke.
Die Fußbodenfläche ist frei begehbar, lediglich durch weiß eingezeichnete Wege und grüne Kreisflächen unterbrochen. Diese Einzeichnun-gen auf dem Fußboden geben Anregungen zum Weitergehen oder zum Verweilen. Auf den 6 im Fußboden eingezeichneten grünen Kreisen vernimmt man Sprache. Über ein System von 24 Lautsprechergruppen ertönt eine elektronische Musik von der Hallendecke herab. Die Vorführung hat weder Anfang noch Ende. Alle 16 Filme laufen als endlose Bänder verschiedener Längen. Dabei sind die Längen der einzelnen Filme so berechnet, daß innerhalb von 36 Minuten bestimmte vorgeplante Bildkombinationen entstehen. Die Bilder der 16 Leinwände nehmen durch diesen Synchronplan in jedem Augenblick in vorgeplanter Weise auf einander Bezug, zeigen zum Beispiel gleiche Bildmotive, ergänzen einander inhaltlich oder fügen sich zu Bildern zusammen, die sich über mehrere Leinwände fortsetzen. In gewissen Zeitabständen erscheinen gleichzeitig auf allen Leinwänden gleiche Bildmotive, die dann von musikalischen Akzenten begleitet werden. Von allen bisher bekannt gewordenen Simultanprojektionen und filmischen Experimenten unterscheidet sich VariaVision auch durch die sogenannte Lamellentechnik. Jede der 16 Projektionsflächen ist in eine Reihe von schmalen, hochformatigen Abschnitten, Lamellen geteilt, die um ihre senkrechte Mittelachse drehbar sind und durch Motoren bewegt werden können. Wir haben es also nicht mit 16 starren im Raum hängenden Leinwandflächen zu tun, sondern mit insgesamt 110 derartigen in die Tragekonstruktion montierten Lamellen, die als Projektionsflächen dienen. Alle diese Lamellen sind durch eine Programmsteuerung beliebig bewegbar und erlauben zum Beispiel, je nach Einstellung   der   Programmautomatik   Modifi-
zierungen der Bildformate, Durchblicke im Raum oder Unterstützungen der dramaturgischen Ideen durch Veränderungen der Formate. Sinn der Anlage ist es, dem die Halle durchquerenden Besucher filmische, literarische und musikalische Nachrichten zukommen zu lassen, ohne daß der Zuschauer an das bekannte Ritual einer Kinovorführung gebunden wäre. Er ist auch nicht gezwungen, sich für eine bestimmte Zeit in dieser Vorführung aufzuhalten. Bilder, Worte und Musik stellen zusammen mit den Leinwandbewegungen eine komponierte Einheit dar. Sie bilden gemeinsam einen Raum. VariaVision ist eine Technik, die dazu bestimmt ist, mit den Mitteln des Films Themenbereiche zugänglich zu machen, die außerhalb der normalen, im Kino möglichen Darstellungsmetho-
den liegen. Dabei liegt der Schwerpunkt der Themen auf den gleichzeitigen Ereignissen, den Vertiefungen eines Stoffes an einzelnen Punkten. Während der Internationalen Verkehrsausstellung 1965 in München wurde VariaVision unter dem Titel DB-Vision erstmalig realisiert und befaßt sich hier inhaltlich mit Themen der Deutschen Bundesbahn. Die 16 gleichzeitig laufenden Filme variieren hier in freier Form folgende Themen:

Planung

Die Aufgabenstellung hieß, ein filmtechnisches und dramaturgisches Verfahren zu entwickeln, das der Situation einer Ausstellung neue Möglichkeiten öffnet. Die Schwierigkeiten, Film im Zusammenhang mit Ausstellungen zu verwenden, war bisher immer ziemlich groß. Obwohl das Darstellungsmittel Film besonders geeignet ist, schwierige Zusammenhänge sichtbar zu machen und Einblicke in Themen zu vermitteln, die mit den konventionellen Ausstellungsmitteln nicht faßbar sind, haben Filmvorführungen in Ausstellungen immer wieder auch entscheidende Nachteile gehabt. Die festen Vorführzeiten, der abgedunkelte, abgeschlossene Raum und die festliegende Dauer einer solchen Vorführung bilden im Ablauf einer Ausstellung leicht „Knoten“. Findet eine solche Filmvorführung in einer Ausstellung aufgrund des technischen Verfahrens oder des dargestellten Themas viel Beachtung, ist also der Andrang sehr groß, so hat ein solches Kino in der Ausstellung die Wirkung, Publikumsballungen zu verursachen und sich eher aus einem übergeordneten Ausstellungsplan zu isolieren, als sich in den Ablauf zu integrieren. Ein Ausgangsproblem für VariaVision war also die Frage, wie man eine Filmvorführung schaffen kann, die diese Nachteile nicht aufweist, gleichzeitig aber inhaltlich, formal und technisch attraktiv ist. Für die Planungsarbeiten an VariaVision galten etwa folgende Grundideen: Verteilung der einzelnen Aspekte des zu behandelnden Themas im Raum, Anordnung zahlreicher Leinwände als raumgliedernde und
raumbildende Elemente, Aufrechterhalten des Publikumsstroms durch ein großes, gleichzeitiges Angebot an Bildern, Bewegungen und akustischen Eindrücken, Entwicklung einer pausen-losenVorführung, deren Abwechslungsreichtum so groß ist, daß auch der am Detail interessierte Zuschauer gefesselt wird, Planung von Gesamtwirkungen, die dafür sorgen, daß die Vorführung als einheitliches Bild- und Raumerlebnis wahrgenommen wird. 

Vier lange Leinwandbänder spannen sich über fast 30 m Länge quer zum Publikumsweg durch die Halle. Die Unterkante dieser Leinwandbänder befindet sich ca. 2,20 m über dem Fußboden, also über den Köpfen der Besucher. Jedes dieser 4 Leinwandbänder setzt sich aus 4 Einzelbildern zusammen.

Zur Auflösung der Starrheit der Projektionen wurden für diese Einzelbilder verschiedene Bildformate und Verfahren gewählt. Dabei wechseln in immer neuen Anordnungen Farbbilder mit Schwarz-Weiß-Bildern, Normalformate mit Cinema-Scopeformaten. Wegen der günstigeren Bildschärfe wurde für das Cinema-Scopeformat immer das Schwarz-Weiß-Verfahren gewählt, während alle normalformatigen Bilder in Farbe gedreht wurden.

Quelle: ehemalige Internetpräsenz www.Edgar-Reitz.com