Von der Heimat und der Fremde

Das zweite Münchner Filmfest ist ein überraschend großes Fest fürs Kino geworden

(…) Der Höhepunkt und zugleich Ruhepunkt im regen Festivaltreiben war ein Film, der den so oft geschundenen Begriff „Heimat“ zum Titel gewählt hat. Sechzehn Stunden lang führt uns Edgar Reitz in „Heimat“ durch die letzten sechzig Jahre seines fiktiven Hunsrück-Dorfes Schabbach. Im Wandel der Generationen und Zeiten erleben wir Geburt, Tod, Liebe, Leid, Krieg und Frieden. Anders als die Heimatfilme der Nachkriegszeit zeigt Reitz tatsächlich, was uns der Begriff Heimat bedeuten kann: ein Ort, der dem Menschen seine Mitte geben kann, seine Festigkeit, seinen Glauben an sich und die Welt. Heimat ist aber auch der Ort, von dem einer ausreißt, um sich selbst zu finden. So erzählt Reitz vom Weggehen und Wiederkommen und den Verlusten, die einer erleidet, der seine Heimat nicht findet.
So wie Fassbinder mit seinem kolossalen „Alexanderplatz“ den deutschen Großstadtfilm geschaffen hat, schenkt Reitz mit „Heimat“ uns allen einen Film, der für das Schicksal des Landes und seiner Landschaften und Menschen steht. Daß es Reitz in München gelungen ist, an zwei sonnigen Tagen sein Publikum in den Bann zu schlagen, liegt nicht allein an den Darstellern, der Regie und der Kameraführung. Eine außerordentliche Kraft, Poesie und nicht zuletzt Seele gibt diesem Werk den Atem (…)
„Heimat“ (…) war das schönste Geschenk ans Kino während des Münchner Filmfestes.
Roland Keller in: STUTTGARTER ZEITUNG, 4.7.1984