Massenmedien und Kommunikation

Gundolf Hartlieb
In diesem Ozean von Erinnerung
Edgar Reiz‘ Filmroman Heimat – ein Fernsehereignis und seine Kontexte 
Uni Siegen 2004

Veröffentlichung zum Forschungsschwerpunkt Massenmedien und Kommunikation

Zu beziehen bei der >> Uni Siegen.
ISSN 0721-3271

Aus dem Inhalt (Vorwort):

Der Fernsehfilm Heimat kam Mitte der achtziger Jahre und damit zu einer Zeit ins deutsche Fernsehen, als die Debatte um Heimatbegriff und Heimatverständnis schon nicht mehr neu war. In den Jahren zuvor hatte es bereits vielfältige Versuche gegeben, sich dem bisher bestimmenden konservativen Heimatbegriff in neuer, progressiver Form zu bemächtigen. Dennoch stellt der Film in dieser Hinsicht einen vorläufigen Kulminationspunkt dar. Dem Regisseur und Mitautor von Heimat, Edgar Reitz, ist in diesem Neubewertungsprozeß daher eine wesentliche Rolle zuzuweisen. An den in den achtziger Jahren mit Heimat gesetzten Akzent knüpfte er mit Die Zweite Heimat zu Beginn der neunziger Jahre an, hatte sich gleichwohl schon mit filmischen Arbeiten in den Jahren zuvor sowohl dem Thema als auch der spezifischen Erzählhaltung, die in den beiden Filmromanen zutage tritt, angenähert.

Im folgenden soll es um die Art und Weise der Auseinandersetzung mit Heimat, mit Geschichte und Erinnerung gehen, wie sie bei Edgar Reitz anzutreffen ist. Dabei werden die verschiedenen Kontexte des Filmromans einer näheren Untersuchung zu unterziehen sein. Ausgehend von theoretischen Grundlagen möchte ich eine Annäherung an die Arbeitsweise des Filmemachers Reitz versuchen, diese dann anhand der Entstehungsumstände von Heimat und des sichtbaren Ergebnisses in der filmischen Umsetzung exemplifizieren, um schließlich nach der Wirkung des Werkes beim Betrachter zu fragen.

Da für das Verständnis des Reitzschen Ansatzes von Bedeutung, sollen zu Beginn wichtige Implikationen des Terminus ‚Heimat‘ sowie einige Aspekte der Diskussion der siebziger und achtziger Jahre um den Heimatbegriff nachvollzogen werden, so daß eine gesellschaftspolitische Dimension transparent wird, die über die rein filmische Spiegelung des Themas hinausgeht und gleichzeitig als Folie für Edgar Reitz diente. Auch wenn keine umfassende Phänomenologie des Heimatbegriffs geleistet werden kann, offenbart sich in der Begriffsdiskussion doch, wie schmal der Grat war, auf dem sich Edgar Reitz mit Heimat bewegte.

Als zweiter Strang der Kontextdiskussion folgt ein Abschnitt über die Erinnerung und das Erzählen als deren versprachlichte Form. Die hier vorgestellten Forschungsansätze sind zu berücksichtigen, wenn es darum geht, das Verhältnis von Erleben, Erinnern und Erzählen als konstituierendes Element des Reitzschen Filmzyklus zu beschreiben.

Da Heimat in der deutschen Tradition des Heimatfilms steht, wenn auch unter anderen Vorzeichen als den für das Genre der fünfziger Jahre geltenden, erscheint ferner ein Blick auf die Nachkriegshistorie der filmischen Auseinandersetzung mit Heimat notwendig. Zunächst wird der Heimatfilm der Nachkriegszeit zu behandeln sein, dessen inhaltliche und ästhetische Aussagen später von Vertretern des Neuen Deutschen Films konterkariert werden sollten. Ihre kritischen Heimatfilme erleben in den siebziger Jahren eine kurze Blüte. Von Interesse wird dabei sein, welche genrespezifischen Eigenschaften der traditionelle Heimatfilm entwickelt hat und mit welchen formalen und ästhetischen Mitteln diese später verworfen wurden.

Es folgt mit dem dritten Abschnitt die Hinwendung zum eigentlichen Werk Edgar Reitz‘. Nach einer kursorischen Zusammenschau seiner Arbeiten und der Frage nach den Voraussetzungen, die Heimat als Idee reifen lassen konnten, soll hier der Komplex der Erinnerung in seiner Ausprägung als ‚filmisches Erinnerungskonzept‘, wie es von Reitz vertreten wird, im Zentrum stehen. Sowohl der Umgang mit Geschichte als auch die im Film erstehenden individuellen Lebensgeschichten lassen erkennen, daß die beschriebenen Mechanismen des Erinnerns und Erzählens für Reitz in der Umsetzung seines Filmwerks von hoher Bedeutung sind. Ausgewählte Szenen der elfteiligen Chronik Heimat werden in diesem Kapitel exemplarisch herauszugreifen und genauer zu betrachten sein. Mit Hilfe dieser Analysen sollen vorhandene Querverbindungen zu den vorher angestellten Überlegungen über den Heimat- und Erinnerungsdiskurs sichtbar gemacht werden; zwei Folgen werden dabei im Vordergrund stehen.

Den Schlußpunkt bildet ein rezeptionsgeschichtlicher Teil. Hier wird der Heimat-Zyklus in seiner Eigenschaft als Fernsehereignis gesehen, das umfangreiche Reaktionen hervorrief – sowohl seitens des Fernsehpublikums als auch seitens der Feuilletons. Wirkungen und Meinungen, die abschließend zusammengetragen und bewertet werden sollen.