Viele Hunsrücker sind von Heimat nicht nur begeistert
Bis zu zwölf Millionen Zuschauer sahen regelmäßig die Serie „Heimat“ aus dem Hunsrück. Die Einschaltquoten haben alle Erwartungen übertroffen: Sonntags lagen sie bei mehr als 25 Prozent; mittwochs sogar bei 35 Prozent. Heute wird die letzte Folge ausgestrahlt. Bei WDR und SFB, den beiden verantwortlichen Sendeanstalten, stapelt sich die Post der „Heimat“-Fans. Es sind jedoch nicht nur begeisterte Zuschauer, die geschrieben haben. Nach der neunten Folge „Hermännchen“ gab es auch böse erregte Gemüter.
Zu sehen war ja nicht viel vom Hermännchen, ein dickes Plumeau verhüllte die eventuellen Blößen. Doch was im Kopf der Zuschauer blühte, daran schieden sich die Geister. Was den einen „schönste Erotik, poetische Qualität, ein Meilenstein auf der Mattscheibe“ war, ist für andere schlicht „ekelerregender Schweinkram, Pornographie, Sauerei“.
Zwischen beiden Positionen liegen Welten, wenig überraschend auch Generationen. Keine Folge der Chronik ist so polemisch diskutiert worden, wie diese neunte. Wo sich im Elfenbeinturm Kritiker über die endlich einmal gelungene Darstellung erotischer Spannung begeisterten, gab es im Wohnzimmer zwischen Eltern und Kindern, gar zwischen Ehepartnern peinliches Schweigen. Was vielen Halbwüchsigen weniger unangenehm und schon gar nicht unverständlich war, trieb manchem Erwachsenen verschämte Beklemmung ins Herz.
Wie viele bei dieser Szene (die auch noch gnadenlos lang war) schnell auf das zweite Programm umschalteten, wo ein halbnackter Belmondo zwar ohne Plumeau, dafür aber keimfrei familienfreundlich agierte, ist leider nicht zu messen.
Zwei Tage später schlug der Seismograph beim Westdeutschen Rundfunk aus: Post, stapelweise. „Ab letzten Sonntag sind wir schockiert. Pfui, pfui und nochmals pfui!“ schrieb eine „Frau unbekannt“, man müsse sich ja schämen, noch deutsch zu sein und weiter „diese meine geschriebene Meinung werde ich auch in der Bild-Zeitung veröffentlichen!“ Wenige nur schrieben anonym, die meisten stehen mit dem Namen hinter ihrer Meinung. Sie können auch sicher sein, daß ihre Briefe unter Verschluß des Senders bleiben: Einblicke gewährt die Pressestelle des WDR nicht, eine Referentin beschränkte sich darauf, auf Anfrage einzelne Passagen zu zitieren.
Es seien vor allem ältere Frauen, die sich über die „Hermännchen“-Folge so erregt hätten, auch die empörten Anrufer seien meist Frauen gewesen, die allerdings immer auch im Namen ihrer Männer gesprochen hätten. Die minderjährigen Kinder wurden ins Diskussionsfeld geschoben, die „Heimat“ habe als Familienfilm ausgespielt. Einige junge Mädchen sahen die anstößige Szene mit anderen Augen und fragten an, ob der Jörg Richter – Darsteller des pubertären Hermann – auch eine Adresse habe.
Das Echo nach der Neunten hallte durchaus nicht nur in schriller Entrüstung. Im Schub der neuesten Posteingänge halten sich Zustimmung und Ablehnung die Waage. Einer schrieb, er finde die Darstellung mutig und er freue sich über diesen Mut im Deutschen Fernsehen.
Unverständnis gab es bei der Dramaturgie von Schwarz-Weiß und Farbe. Der Hunsrücker Dialekt machte bundesweit scheinbar keine Schwierigkeiten, nur die Hunsrücker selbst stellten Saarbrücker und Pfälzer Färbungen fest. Ansonsten viel Lob – für Reitz, Marita Breuer, die Idee der Sendereihe.
Ute Casper
Artikel in der Rheinzeitung vom 24.10.84
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