„Schabbach“ wird demnächst der bekannteste Ort im Hunsrück sein

Kritik lobt den Film „Heimat“ von Edgar Reitz- Fernsehserie

-uca- „SCHABBACH“. Dieser Ort wird dem Hunsrück einen Namen machen. Es gibt ihn zwar nicht, er ist aber Schauplatz einer gut 16stündigen Filmchronik, die der im Hunsrück aufgewachsene Regisseur Edgar Reitz vor drei Jahren hier drehte, bei den Filmfestspielen in München erhielt das Werk, das unter dem Titel „Heimat“ uraufgeführt wurde, überschwengliche Kritiken.
„Ein unheimlich starker Abgang“ schrieb die Süddeutsche Zeitung zu den Abschlußvorführungen des neuntägigen Festivals und nannte „Heimat“ in einem Atemzug mit dem jüngsten Werk der französischen Kinogröße Jean Luc Godard. Und weiter: „Heimat dürfte für den Neuen deutschen Film das werden, was die ,Blechtrommel‘ für die deutsche Nachkriegsliteratur geworden ist.“ Starke Worte, fürwahr. Der Evangelische Pressedienst (epd) befand: „Faszinierend wie die Lektüre eines dicken Romans.“ Selbst die sonst so zurückhaltende FAZ jubelte: „Unbestrittener Höhepunkt!“
Will man den Kritiken glauben, so ist „Heimat“ endlich der große Durchbruch für Edgar Reitz, der bisher eher mäßige Streifen ablieferte. (An die 1973 gedrehte ,Reise nach Wien‘ wird man sich im Hunsrück sicherlich noch erinnern.) Der neue Film ist zumindest quantitativ schon beeindruckend: 320 000 Meter Zelluloid, 200 Seiten Drehbuch, 30 Haupt- und 160 Laiendarsteller (darunter zahlreiche Hunsrücker), über 4000 Statisten und immerhin fünf Jahre Arbeit. WDR und SFB finanzierten das Ganze und werden die „Heimat“ in elf Teilen in die bundesdeutschen Wohnzimmer bringen – zwischen dem 16. September und dem 24. Oktober.

Heimat – der Begriff hat Vorzeichen. Der Nationalsozialismus sang das Jubellied auf die heimatliche Scholle, mißbrauchte sie als gefühlsduseliges Etwas: Kleine Leute, eingebunden in ihre kleine Welt, die auch immer eine heile Welt war – Herz und Schmerz im Gleichklang, Hauptsache fern der Politik. Auch die Nazis drehten einen Film unter dem Titel „Heimat“ (1938). Das Werk von Carl Froelich , erhielt das Prädikat „staatspolitisch und künstlerisch wertvoll“ – kein Wunder, denn dort kommt die Welt nach Wirren und Mißverständnissen wieder in Ordnung und alles endet in „Tränen der Freude“, wie eine zeitgenössische Kritik schrieb.

Solche Rührseligkeit ist mit „Heimat“ bei Edgar Reitz nicht gemeint. Der Nazi-Film kommt vor als Zitat, als Beleg eines falschen, ideologisch verzerrten Heimatbegriffs.
Eigentlich wollte Reitz seinen Film „Geheischnis“ nennen, was aber für alle Nicht-Hunsrücker wohl unübersetzbar ist.
„Heimat“ ist fast so etwas wie eine Chronik der letzten 60 Jahre. Die Handlung setzt nach dem Ersten Weltkrieg ein und endet 1982 mit dem Tod der Hauptfigur Maria. Maria, geboren 1900 und damit immer so alt wie das Jahrhundert, ist die Frau des Schabbacher Dorfschmieds Paul Simon. Irgendwann verläßt Paul seine Angetraute. Er gehe gerade ‚mal ein Bier trinken. Der Mann kommt lange nicht wieder, er hat seiner kleinen Welt den Rücken gekehrt und wandert aus – ins „Land aller Träume“, nach Amerika.
Die Sehnsucht nach der unbekannten Ferne, das ist der Gegenpol zur Heimat, dann wiederum die Heimat als Ort aller Sehnsucht, das Vertraute, die Dorfgemeinschaft, die Landschaft, in die man hineingeboren wurde. Von diesem Spannungsverhältnis wird die Handlung des Films getragen.
Nach dem 2. Weltkrieg kehrt Paul für eine Stippvisite zurück in’s Hunsrückdorf. Er ist reich geworden, fremd auch. Maria erlebt das „Wirtschaftswunder“, ihre drei Söhne kommen zu Geld. Auch diese Generation steht wieder zwischen Fernweh und Einbindung in die Heimat. Die Mutter stirbt, ohne ihr Dorf Schabbach jemals verlassen zu haben, obwohl sie immer davon träumte.

Der Film „Heimat“ lebt von atmosphärischen Bildern und gut beobachteten Einzelheiten. Es ist gelungen, vieles von der Mentalität der Hunsrücker wiederzugeben. Charakterisiert sind sie in ihrer Wortlosigkeit – Pauls Vater begrüßt seinen aus dem Krieg heimkehrenden Sohn mit einem langen Blick, der mehr sagt als alle Worte -, in ihrer Sprache, dem Hunsrücker Platt, und in ihrem Selbstverständnis, das wiederum mit ihrer Heimat verbunden ist.
Dazwischen schlägt die Zeit ihre Kerben, Einbrüche von außen – das Weltgeschehen. Es sind historische Entwicklungen, die die Menschen und ihr Schabbach verändern.
Der Zweite Weltkrieg ist gerade vorüber, da denkt Pauls Mutter über die „neuen Zeiten“ nach:
„Nach dem Weltkrieg war eine, und dann nach der Inflation, und dann 33 und wie sie die Hunsrückhöhenstraße gebaut haben 1938, da war eine neue Zeit, ganz neu, so neu wie die Straße. Und: dann 45, da hieß es die Stunde Null, und jetzt schreiben wir hier in der Zeitung den Tag X. Jedesmal warten wir darauf, daß es besser wird, das hört überhaupt nicht mehr auf mit dene neue Zeite!“

„Heimat“ lief auf dem Münchener Festival in zwei Teilen, jeweils acht Stunden verbrachten die Zuschauer im Kino. Vorteil solcher Mammutsitzung: Das Werk kann das Publikum in seinen Bann ziehen. Acht Stunden vor der Leinwand – da wird die Filmrealität stärker als die eigene Wirklichkeit.
Wenn „Heimat“ demnächst im Fernsehen läuft, geht auf dem kleinen Bildschirm sicherlich vieles verloren. Das Deutsche Fernsehen hat sich zumindest entschlossen, die elf Teile nicht allzuweit auseinanderzureißen, drei bis vier Tage liegen die einzelnen Sendungen auseinander.
Vielleicht gibt es Möglichkeiten, auch den Hunsrückern „ihren“ Film im Ganzen vorzuführen. In Berlin organisierte das Kultur-Szenenblatt TIP ein ganzes Wochenende rund um diesen. „Heimat“ -Film, mit Getränken und Snacks. Es kostete zwar 40 Mark, war aber sofort ausverkauft.

Artikel in der Rheinzeitung vom 11.08.84
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