Heimat-Gefühle auf Plastik-Stühlen „Made in Germany‘ vom Hunsrück

Neben- und Hauptdarsteller der Reitz-Serie sahen Sondervorführung

HUNSRÜCK/KÖLN. Noch bevor die erste Folge der Edgar-Reitz-Serie „Heimat“ am Sonntagabend über den Bildschirm flimmerte, sahen viele Hunsrücker in einer Sondervorführung des WDR in Köln das gesamte Werk. Die meisten der „Premierengäste“, die nach Köln reisten, waren als Darsteller in Neben- und auch in einigen Hauptrollen an dem Mammutwerk beteiligt. Die HZ-Mitarbeiterin Ute Casper beobachtete – sozusagen als außenstehender Laie – die Sondervorführung in Köln und auch das Publikum. Nachfolgend ihr Bericht:
Elf Mal schallte eine monoton-rhythmische, von heulendem Wind untermalte Musik durch das Foyer und den kleinen Sendesaal des WDR-Funkhauses. Der Vorspann. Zu sehen war ein Felsbrocken mit der Messing-Inschrift „Made in Germany“. Dieser Stein, der jetzt in der Ortsmitte des Drehortes Woppenroth steht, wird hier zum Wahrzeichen. „Heimat“ ist darüber geblendet. Elf Folgen hat dieser Film, und nach zwei Tagen erscheint die Titelmusik ebenso vertraut wie dieser Stein und wie das, was Reitz mit seinem Begriff von Heimat meinte.
Alle die hierher gekommen waren, hatten irgendwie mit diesem Werk zu tun, als Mitwirkende, Geldgeber, als Journalisten, die über die international gefeierte 16stündige Sensation zu berichten hatten. Den reichsten ARD-Sender in Köln hatten sich die meisten Hunsrücker wohl anders vorgestellt. Wer das etwas angegammelte Funkhaus aus den fünfziger Jahren zum ersten Mal sah, war wenig beeindruckt.
Statt Pomp erst einmal Kartenkontrollen. Warten. Geschäftige WDR-Angestellte rannten, verboten, kontrollierten. Jeder Besucher bekam eine Anstecknadel. „Heimat“ stand darauf, und „Pressevorstellung“.
Vor Beginn der Vorführung erklärte ein Dramaturg, er habe den Regisseur vom Bahnhof abholen wollen, aber im Zug aus Venedig sei er nicht gewesen. Vielleicht im nächsten. Daß ihm aber gerade ein Preis verliehen worden war und alle darüber sehr glücklich seien, war schon zu erfahren, auch, daß BBC und das italienische Fernsehen die Serie gekauft hätten. Die Vorführung verzögerte sich schließlich auch aus technischen Gründen, da man nicht für eine einwandfreie Projektion sorgen konnte. „Im Zentrum des Hurricans ist es am ruhigsten“ versuchte Michael Schmid-Ospach, Presseverantwortlicher des WDR, zu entschuldigen. Was dann geboten wurde, waren viele Fernseher und zwei mittelgroße Videoprojektoren – kein Kinofilm also, auch keine Dunkelheit im Zuschauerraum.

Apfelsaft statt Kölsch.
In einer Pause schließlich kam Reitz, strahlend, fast ein bißchen schüchtern und von stürmischem Applaus begrüßt. Viele hier kannten ihn, nannten ihn vertraulich und selbstverständlich beim Vornamen. Zwei Tage lang konnte man ihn nun im Foyer treffen, wo er unermüdlich diskutierte, die ewig gleichen Interviewfragen beantwortete und mit den Hunsrückern plauschte. Bald hatte sich das Publikum aus dem Foyerräume verteilt. Überall waren Fernseher aufgestellt und im Stehen ließ es sich ebenso angenehm schauen wie im Vorstellungsraum. Den kleinen Sendesaal hatte man „vom Feinsten“ bestuhlt: Unmerklich gepolsterte Plastiksitze, ohne Armlehne und Beinfreiheit, versteht sich. Häufig lösten die Zuschauer auch mal ihren Blick von der Leinwand. Wie spät? Nachdem einige Teile abgesessen waren, stand im Programmheft wieder das verlockende Wörtchen „Imbiß“.
Auch hier ließ sich der WDR nicht lumpen und bewies, wie verantwortungsvoll er mit den Rundfunkgebühren zu haushalten weiß: Pappiger Kuchen, dazu Apfel- und Orangensaftfläschen, die der Ökonomie halber noch in ihrer Originalverpackung steckten. Auch beim Abendessen: Apfel- und Orangensaft. Die ersten suchten nahegelegene Kölschkneipen auf, um neue Kraft für die späten Vorstellungen zu tanken.
Die Hunsrücker „Familienverhältnisse“ verwickelten sich für einen Außenstehenden schnell zu unlösbaren Knoten. Ob es der eigene Opa war, der da mitspielte oder „der Opa“ einfach im Film so hieß, oder das „mit-dem-bin-ich-verheiratet“ lediglich dem Drehbuch zu verdanken war, war schwer herauszufinden.
Wer größere Rollen hatte – vor allem Eva Maria Schneider und Wolfram Wagner aus Kirchberg und Arno Lang aus Rheinböllen – diente als Ansprechpartner um die verwickelte Filmhandlung zu erläutern.

Fachkundiges Publikum
Spätestens da wurde deutlich, wie sehr sich die Hunsrücker Schauspieler mit ihren Rollen beschäftigt hatten. Während der Vorstellung zitierten einige ganze Passagen mit, andere wußten immer schon im voraus, was kommen wird: „Mein unehelicher Sohn“ stellte die Marie-Goot den Glasisch-Karl für alle Umsitzenden vor. Wenn von der Lucie und dem Paul, der Katharina und dem Mäthes-Pat gesprochen wurde, schienen alle Anwesenden den gleichen Stammbaum zu haben, und die Verwirrung der Außenstehenden war ebenso perfekt wie die Identifikation der Mitwirkenden. Wer den Film als ehemaliger Statist ansah, wußte Halbes, fragte nach beim nebenan Sitzenden: „Is dat die vun Kreuznach?“, was die Filmmutter Katharina Simon betraf, und „Dat is doch der Wo-wa, der mit der Plätschkapp!“

Wenn die Hunsrücker Hauptdarsteller im Bild waren, wendeten sich die Köpfe. Wie werden sie auf sich selbst reagieren? Gelassen, denn sie hatten den Film schon einmal exklusiv gesehen.
Hatte die Rolle ein besonderes „Stickelche“ in Mundart, war ein Charakter besonders gut getroffen, dann wurden die Hunsrücker zum fachkundigsten Publikum: In der von E. M. Schneider hinreißend gespielten „Goot“ wird zwar jeder die komischen Elemente erkennen, aber vielleicht nur die Hunsrücker um das Authentische der schrulligen Figur wissen.
Bei den Landschaftsaufnahmen, die teilweise aus dem Flugzeug gefilmt sind, gab es dann Unsicherheiten. Ist das die Schmittburg, ist das Schlierschied? .Nein‘. .Doch‘. Fremd war keiner der Drehorte. Von der Villa mit den 52 Zimmern, die Lucie mit ihrem Eduard in Rhaunen bewohnt, weiß man, daß es das größte Haus in Büchenbeuren ist und wenn der so großartig mit „Hunsrückstadion“ frisch bepinselte Bretterverschlag am alten Simmerner Sportplatz im Bild ist, weiß jeder, daß er keine Filmkulisse ist…
Erinnerungen an die Dreharbeiten kommen bei den Laienschauspielern auf, als es auf den Bildschirmen regnet ruft jemand: „Die haben uns durchgeweicht!“ Von einem Doppeldecker, der in den dreißiger Jahren über dem fiktiven Dorf „Schabbach“ kreist wissen sie, daß er aus einem Schweizer Museum ist und bei Maitzborn eine Bruchlandung gebaut hat.

Beifall für Hunsrücker
Abschlußdiskussion am zweiten Tag: Alle Hunsrücker im Saal werden gebeten aufzustehen und spontan beklatscht. Regisseur und Schauspieler – Profis und Laien – sitzen in einer Reihe auf den Stufen der kleinen Bühne.
Warum „Made in Germany“ auf dem Stein im Vorspann stehe? Das war der ursprüngliche Titel, „aber auf unserer Klappe stand zwei Jahre lang nur „Heimat“ erklärte Edgar Reitz und versichert sich „stimmt doch?“ Stimmt, pflichten die Schauspieler bei.
Ein Woppenrother meint, alles was gedreht wurde, sei ja auch tatsächlich ‚drin gewesen und er fände das sehr positiv. Wenn er da noch an den Schinderhannes-Film denke – nichts habe man darin wiedergefunden!
Die rege Filmproduktion auf dem Hunsrück schärft auch den Blick für Kameraästhetisches. Vor allem die vielen Fliegen, die in der Küche herumschwirrten, seien sehr echt und gut getroffen. ..Kompliment, sehr gute Details, an dem Film stimmt alles!“ Die Fliegen waren allerdings echt, die Schauspieler konnten sich oft kaum dagegen wehren. Als in einer der letzten Folgen das „Hermännchen“ seine erste Liebesnacht erlebt, krabbelt ihm, in Großaufnahme, eine Fliege durch das Gesicht. Im Drehbuch stand es nicht, die Fliege sorgte aber dafür, daß peinlich berührte Zuschauer sich von der Erotik in die Komik retten konnten.

Artikel in der Rheinzeitung vom 18.09.84
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