Von der Laienbühne zur Biennale

Die Bad Kreuznacherin Gertrud Bredel ist eine der Hauptdarstellerinnen in dem Film „Heimat“

Fx. – Wenn die ARD vom kommenden Sonntag an den mit internationalem Beifall bedachten Film „Heimat“, in elf Folgen aufgeteilt, als Fernsehserie zeigt, dann wird in vielen Kapiteln immer wieder eine Gestalt die Aufmerksamkeit der Zuschauer fesseln – vor allem der Zuschauer in Bad Kreuznach. Es ist die Figur der Hunsrücker Bäuerin Katharina Simon, die von der Bad Kreuznacherin Gertrud Bredel gespielt wird. Die Filmkritik hat das Wort von der „großen Volksschauspielerin“ gewählt, um die Leistung von Gertrud Bredel zu verdeutlichen, und auf der Biennale in Venedig hat sie bei der Aufführung des Films Achtung und Anerkennung gefunden.
Wenn von Biennale die Rede ist, dann klingt oft etwas von dem Wort „Karriere“ mit. Bei Gertrud Bredel ist das nicht der Fall. Hier drängt sich eher die Verbindung mit dem Wort „Glückskind“ auf. Es ist mehr als drei Jahre her, als Filmleute bei der VHS-Theatergruppe in Bad Kreuznach auftauchten, wo Gertrud Bredel seit 1967 zum Stamm des Laientheaters gehört. Aufnahmeleiter Robert Busch, der für das große Filmprojekt im Hunsrück eine ältere Frau suchte, ließ einige Szenen fotografieren und verabschiedete sich dann von Gertrud Bredel mit den Worten: „Wenn sie Edgar so gut gefallen wie mir, dann kriegen sie die Rolle.“
Edgar Reitz hat schon sehr bald gemerkt, daß die Rolle der Hunsrück-Bäuerin Katharina Simon richtig besetzt war. Vorsprechen mußte Gertrud Bredel nicht Es ging gleich los. „Mein erster Satz hieß: ‚De Paul is Widder do“, erzählt sie. „Ich hab‘ losgebrüllt wie beim Theater.“ Edgar Reitz mahnte aber: „Wir sind hier beim Film, nicht beim Theater.“ Und auch die anderen Kollegen, die vom Filmgeschäft schon mehr verstanden als sie, gaben gute Tips: „Wenn du leise sprichst, dann kommt’s weicher.“

Die Umstellung in der Sprechweise war für die geübte Theaterspielerin das Schwierigste. Den Hunsrücker Dialekt, der im Film gesprochen wird, hatte sie nach dreißig Sätzen gelernt. Bei den Dreharbeiten in Woppenroth, die für Gertrud Bredel eineinhalb Jahre dauerten, hörte sie schon sehr bald das Kompliment: „Sei kennte grad‘ lou vun hie sinn.“ Für die Bad Kreuznacherin war dies die Erkenntnis: „Ich war angekommen.“
Ihre prägnante Fähigkeit, Rollen mehr durch Sprechen, als durch Agieren lebendig zu machen, hat sie in langjähriger Theatertätigkeit verfeinert Regisseurin Inge Roßbach erinnert sich an gut sechzig größere Rollen, die Gertrud Bredel auf der VHS-Theaterbühne im Bonhoefferhaus oder sonstwo gespielt hat, im klassischen Stück ebenso wie im Heimatschwank oder im Märchenspiel.
Sie war immer dabei. Von Anfang an. „Und jetzt werden wir auf einmal berühmt“, scherzt Theaterregisseurin Inge Roßbach, als sie dieser Tage mit Gertrud Bredel und vielen anderen Mitgliedern der Theatergruppe zusammensitzt, um die Ballettkomödie „Der Ball der Diebe“ noch einmal durchzuproben. Eine Pressekonferenz in Köln anläßlich der Vorführung ihres Films „Heimat“ hat Gertrud Bredel glatt sausen lassen, denn ohne sie hätte die mühevoll einstudierte Komödie in Bad Kreuznach abgesetzt werden müssen. Aber das wollte und konnte sie ihren Kollegen nicht antun. Zumal dieses Stück auch für die Berliner Amateur-Theater-Tage am 28. Oktober im Centre francais in Wedding vorgesehen ist

Vorher, am 13. und 14. Oktober, steht sie noch einmal auf der Bad Kreuznacher Bühne. Sie spielt in dem Stück von Jean Anouilh eine gewisse Lady Hurf, die aus Laune und Langeweile ein ganzes Kurbad durcheinanderbringt Also etwas ganz anderes als in der großen Hunsrücker Familiengeschichte, jenem gewaltigen Epos, das insgesamt genau 15 Stunden, 24 Minuten und 10 Sekunden dauert, mit 28 Hauptrollen, 140 Sprechrollen und 5000 Laiendarstellern besetzt ist und fünfeinhalb Jahre Drehzeit benötigte.
„In Venedig bin ich immer wieder auf der Straße erkannt worden“, erzählt Gertrud Bredel. „Drei Griechen haben sich herzlich bedankt: unsere Großmutter ist eine Frau wie sie sie gespielt haben. Die drei Griechen leben in Boppard. Sie sagten, sie kennen den Hunsrück sehr gut“ Sehr viel von dem was sonst in Venedig gesagt wurde, hat Gertrud Bredel mangels italienischer und englischer Sprachkenntnisse nicht verstanden. Mit Ausnahme eines Schweizer Journalisten, der auf eine Szene in ihrem Film anspielte und die Frage stellte: „Glauben Sie, daß man im Himmel wirklich Hunsrücker Platt spricht?“ – „Ich weiß es nicht“, entgegnete ihm Gertrud Bredel, „aber ich laß mich überraschen.“
 
Artikel in der Rheinzeitung vom 14.09.84
Hinweis: Alle Rechte (auch Vervielfältigung und Verbreitung) an den Texten und Bildern liegen bei der Rheinzeitung . (www.Rheinzeitung.de) Es liegt die schriftliche Genehmigung des Verlages vor.