„Schwätzt einfach so wie immer“

Edgar Reitz über seine Hunsrücker Laiendarsteller in der Fernsehserie „Heimat“

„Wer in den Hunsrück reist, um den Heimatort der Simons zu suchen, wird 300 Dörfer finden, und keins davon heißt Schabbach. Ich kenne einen Mann in München, der meint, der ganze Hunsrück sei eine Erfindung …“ Dies meinte der Regisseur Edgar Reitz zum Start der Fernsehserie „Heimat“, deren zweiter Teil „Die Mitte der Welt“ heute um 20.15 Uhr in der ARD läuft.
Daß der Hunsrück keine Erfindung ist, konnten die Fernsehzuschauer bereits am Sonntag sehen. Noch bis zum 24. Oktober (jeweils sonntags und mittwochs) erleben sie ein ganz ungewohntes Fernsehereignis -beschaulich, einprägsam, auf unnötiges Spektakel verzichtend.
Die Serie lebt nicht zuletzt von den Typen dieses Landstrichs, zumeist dargestellt von Laien aus den Dörfern. Edgar Reitz zu Beginn der Dreharbeiten über „seine Hunsrücker“: „Die Zusammenarbeit mit sogenannten Nichtprofis, also Leuten, die ganz andere Berufe haben, die hier zum Teil ganz ausgedehnte Rollen spielen, ist mit das Erfreulichste, was wir hier erleben. In einigen Fällen ist sogar der glückliche Zufall entstanden, daß die Figuren von selbst anfangen zu leben, daß man beim Drehen oft nur noch zuzuschauen braucht, wie Figuren vor der Kamera sich entfalten, wie sie immer reicher, immer schöner, immer poetischer werden. Besonders ist zu bemerken, daß die Laiendarsteller eine natürliche Form von Humor in die Arbeit einbringen.“ Dies merkt man besonders bei Mathias Simon, dem Stammvater der Familie. Willi Burger, so sein richtiger Name, starb nach den Dreharbeiten zu den ersten Folgen. Burger stammte aus Nannhausen bei Simmern und war wirklich Schmied und Landwirt; was man wohl im Film merkt. Oder nehmen wir seine Frau Katharina, gespielt von Gertrud Bredel, die aus Bad Kreuznach stammt und Mitglied der dortigen Laienspielgruppe ist. Spielt sie nicht überzeugend Bäuerin?
Oder denken wir an die urigen Typen, etwa an Glockzieh (Glöckner), gespielt von Otto Henn, einem ehemaligen Landwirt; oder an den Mäthes-Pat, gespielt von dem Lehrer Wolfram Wagner, der auch die Laienspielgruppe Kirchberg leitet. Marie-Goot, die Schwester von Katharina, ist ebenfalls Kirchbergerin und heißt richtig Eva-Maria Schneider. Den Uhrmacher in Simmern stellt Arno Lang dar, der das Laienspieltheater in Rheinböllen führt. Die Bäuerin Gertrud Scherer aus Rohrbach spielt in der Serie die Martha Wiegand. Hänschen Betz, der einäugige Sohn eines armen Tagelöhners, wird dargestellt von dem Kirchberger Schüler Alexander Scholz.
Ihnen allen fällt natürlich der Dialekt nicht schwer. Anders dagegen war es mit den Schauspielern, die etwa aus Bremen, München, Berlin, Hamburg und Köln stammen. Marita Breuer, die eigentliche Hauptfigur in den elf Teilen, merkte man sprachliche Unreinheiten in der ersten Folge noch an.
Wie erlebte dies ein Hunsrücker, zumal wenn er von Beruf Lehrer ist wie Wolfram Wagner aus Kirchberg: „Die Schauspieler nahmen bei den Einheimischen regelrecht Unterricht in Mundartsprache, und es war oft amüsant zu hören, wie sich die Fremden bemühten, um den rechten Hunsrücker Tonfall zu finden. Mit der Zeit wurden sie dann immer besser. Edgar Reitz hatte die Schauspieler ja auch aus diesem Grunde bei der Bevölkerung einquartiert. Während sich die Fremden alle Mühe gaben, als echte Hunsrücker zu wirken, glaubten viele echte Hunsrücker, als sie zum ersten Mal vor die Kamera traten, sie müßten nun im Film Hochdeutsch reden. Sie waren dann meist sehr erleichtert wenn Edgar ihnen sagte .Schwätzt einfach so wie immer‘.“
Um 20.15 Uhr schwätzen sie wieder. In der ARD. Kurt Frank

Dreharbeiten zur Folge 2: Eduard und seine Berliner Frau kommen nach
Schabbach. Plötzlich stehen drei Autos im Hof. Damit sich die Kamera
nicht in den Wagen spiegelt, arbeitet Reitz (Bildmitte) mit seinem Team
hinter einem schwarzen Tuch. Foto: Düker

Artikel in der Rheinzeitung vom 10.09.84
Hinweis: Alle Rechte (auch Vervielfältigung und Verbreitung) an den Texten und Bildern liegen bei der Rheinzeitung . (www.Rheinzeitung.de) Es liegt die schriftliche Genehmigung des Verlages vor.