Auf der Suche nach einem kleinen Stück Glück

„Heimat 3 – Chronik einer Zeitenwende“ ist in erster Linie ein Familiendrama mit stark romantischem Anstrich – Betörende Landschaftsaufnahmen und grandiose Farbgestaltung

Er legt jetzt nach langen Kämpfen um die Finanzierung des Projekts mit „Heimat 3“ den Abschluss seiner Jahrhundertchronik vor: Regisseur Edgar Reitz. Mit 54 Stunden Film in 30 abendfüllenden Spielfilmen muss man bereits vor der logistischen Leistung der gesamten Trilogie den Hut ziehen. Um es bereits vorwegzunehmen: „Heimat 3“ blieb bei der Präsentation hinter den zugegebenermaßen hoch gesteckten Erwartungen zurück. Zu sehen gab es den Streifen im Mainzer Staatstheater und im Pro-Winzkino von Simmern.

MAINZ/SIMMERN. Es gibt ein Wort, das so deutsch ist, dass sich in kaum einer europäischen Sprache eine befriedigende Entsprechung finden lässt. Es evoziert Geborgenheit, Wärme und Nähe, lässt aus dem Nebel der Erinnerung verschüttete Bilder, Klänge und Gerüche emporsteigen. „Heimat“ ist definitiv ein Begriff mit hohem „Wallungswert“, wie Gottfried Benn es einmal formuliert hat. Gleichzeitig ist kaum einem anderen Wort vom 20. Jahrhundert derart erbarmungslos der Prozess gemacht worden: Es war das Jahrhundert der Vertreibungen, der Deportationen, der Menschen, denen die Wurzeln und damit die eigene Identität gewaltsam entrissen wurden. Der politische Missbrauch, der gerade in Deutschland mit „Heimat“ betrieben wurde, veranlasste zu Beginn der 80er einen deutschen Filmemacher zu einer umfassenden Sondierung und Rehabilitierung des Begriffs. In der elfteiligen Fernsehserie mit dem schlichten Titel „Heimat“ thematisierte Edgar Reitz das Schicksal des fiktiven Hunsrück-Dörfchens Schabbach und seiner Bewohner.

Zurück im Hunsrück

1992 setzte der geborene Hunsrücker Reitz seine Chronik nach diesem überwältigenden Erfolg mit dem 13-Teiler „Die Zweite Heimat“ fort: Die Serie folgt dem unehelichen Sohn der Maria Simon aus dem ersten Teil, dem „Hermännsche“, zu seiner Studienzeit ins München der 60er. Man hatte am Ende der „Zweiten Heimat“ irgendwie das Gefühl, dass diese Geschichte noch nicht zu Ende erzählt sei. Zu Recht, denn – jetzt folgt „Heimat 3“, der Film ist von Donnerstag an in unseren Kinos zu sehen. Nach der Uraufführung bei den Filmfestspielen in Venedig feierte „Heimat 3“ in München, der „Zweiten Heimat“ der Fernsehserie, seine Deutschlandpremiere. Mit der Rheinland-Pfalz-Premiere in Mainz/Simmern nähert sich Reitz‘ Opus nun wieder seiner Wiege im Hunsrück. Diese Suchbewegung des Films in Richtung Heimat kennzeichnet die inhaltliche Entwicklung der letzten Staffel. Hermann Simon, inzwischen gefeierter Dirigent und Komponist, trifft in Berlin am 9. November 1989 inmitten der Wirren des Mauerfalls zufällig auf seine Geliebte aus der „Zweiten Heimat“, Clarissa Lichtblau. Sie finden wieder zusammen, und Clarissa überredet Hermann, gemeinsam den Rest ihres Lebens am Ort ihrer Träume zu verbringen. Mit Unbehagen stellt der „Weggeher“ Hermann fest, dass es sich dabei um ein altes Fachwerkhaus nahe der Loreley handelt – unweit seines Geburtsorts Schabbach. Behilflich bei der Restaurierung sind vier junge Ostdeutsche, darunter Gunnar, dem von Hermanns Assistenten prompt die Frau ausgespannt wird.

Auch ansonsten wird die Idylle nicht ungetrübt bleiben: Zahlreiche Krisen schütteln die Beziehung, und Clarissa erkrankt an Krebs. Lulu, Hermanns Tochter aus seiner geschiedenen Ehe, wird mit ihrem kleinen Sohn, der aufgrund eines Unfalls vaterlos aufwachsen muss, später in das Haus nachziehen. Währenddessen fährt in Schabbach der profitgierige Hartmut Simon die traditionsreichen Optik-Betriebe seines verstorbenen Vaters Anton an die Wand. Die Dorfgemeinschaft entzweit sich nicht nur über die Feuerbestattung des Firmenpatriarchen, womit eine jahrhundertealte Tradition gebrochen wird, sondern auch über das Erbe von Ernst Simon, einer kostbaren Gemäldesammlung. Für zusätzlichen Wirbel sorgen ein dubioser „Erbenermittler“, ein raffgieriger „Firmenvernichter“ und einige aus Kasachstan zugezogene Spätaussiedler.
„Heimat 3“ hat im Gegensatz zu den ersten beiden Teilen kein geografisches Zentrum mehr, die Serie spielt gleichermaßen in Berlin, Leipzig, München, Mainz, Schabbach und im Fachwerkhaus am Rhein. So handelt der Abschluss der Trilogie auch von Menschen, denen es nicht mehr gelingen will, sich an einem festen Ort zu installieren. Nur Hermann und Clarissa leisten dem Prozess der Globalisierung beharrlich Widerstand.

Hier beginnt auch die Problematik des Films: Sein forcierter Versuch, sich einen „locus amoenus“ (lieblicher Ort) fernab der großen Politik zu schaffen, wirkt romantisch verquast, sie hängen einem Künstler- und Liebesideal nach, das ins ausgehende 20. Jahrhundert nicht mehr passen will. Und Henry Arnold vermag seinem Hermann Simon, einem Träumer irgendwo zwischen Taugenichts, Wilhelm Meister und Felix Krull, nicht die Brüchigkeit und Melancholie zu verleihen, die die Figur eigentlich bräuchte.
Die politischen Realitäten bringen eher die Nebenfiguren ins Spiel. Gunnar Brehmes Rückkehr in einen verfallenen und von unerträglicher Tristesse geprägten deutschen Osten (Co-Autor war übrigens Thomas Brussig) zeigt Reitz nochmal auf der Höhe seines Könnens: Präzise Beobachtungsgabe und die Fähigkeit zur satirischen Zuspitzung waren das Markenzeichen der ersten beiden „Heimat“-Teile gewesen. Doch ansonsten scheint es Reitz wie seinem „Hermännsche“ zu gehen: Nach der Wende zu Beginn der Serie fällt ihm außer der Fußballweltmeisterschaft 1990 und der Sonnenfinsternis 1999 nicht mehr viel zur deutschen Geschichte ein. „Heimat 3“ ist vor allem ein Familiendrama geworden, das die jeweiligen Aktualitäten eher lustlos und manchmal auch dramaturgisch reichlich ungeschickt zu integrieren versucht.

Vor Weihnachten im TV

Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Edgar Reitz immer noch zu den besten visuellen Erzählern in Deutschland gehört. Die Kameraarbeit von Thomas Mauch (Folge 1-4) und von Reitz‘ Sohn Christian (Folge 5-6) ist über jeden Zweifel erhaben. Die grandiose Farbgestaltung und einfallsreichen Bildmetaphern (etwa ein Trabi-Mobil, das das Symbol der DDR-Diktatur auf den Schrottplatz der Geschichte verweist) lassen auch den Abschluss der Trilogie zu einem ästhetischen Augenschmaus werden.
Und auch im Jahr 2004 gibt es einfach niemanden, der betörendere Landschaftsaufnahmen bewerkstelligen kann als Edgar Reitz. Wenn „Heimat 3“ dann in der Vorweihnachtszeit über die Bildschirme geht, wird die Serie immer noch vieles in den Schatten stellen, was ansonsten an öffentlich-rechtlicher Fernsehunterhaltung geboten wird.
Ein großer Wurf ist sie dennoch nicht.

Oliver Mayer

Artikel in der Rheinzeitung vom 28.09.04
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