Unaufgeregt, überlegt, gründlich

Der Filmemacher Edgar Reitz kritisiert beim Aschermittwoch der Künstler Quotenjagd mit falscher Volkstümelei im Fernsehen
Mit kaum jemandem ist der Begriff „Heimat“ derart eng verknüpft wie mit Edgar Reitz. Für den Filmemacher ist die Auseinandersetzung damit nahezu ein Lebenswerk. Beim „Aschermittwoch der Künstler“ im Erbacher Hof erörterte der Regisseur im Gespräch mit Peter Reifenberg, Direktor der Bistumsakademie, und 3sat-Redakteurin Martina Mattick den „Film als identitätsstiftendes Kunstwerk“.

MAINZ. Mit einer Filmkulisse hat das Podium im Ketteler-Saal gar nichts gemein: Der frisch ausgezeichnete Carl-
Zuckmayer-Preisträger Reitz ist zwischen den beiden Moderatoren platziert,davor eine Zuhörerschar; die größer ist als der Raum sie zu fassen vermag. Rechts neben der Bühne hängt eine überdimensionale Leinwand, auf der zwei Ausschnitte aus den ersten beiden  „Heimat“ -Serien gezeigt werden. Später kommt seine Ehefrau Salome Kammer, als Clarissa Lichtblau eine der Protagonistinnen im zweiten und dritten Teil der Reihe, hinzu.
Wenn Reitz spricht, wirkt das wohltuend unspektakulär. Der 71-Jährige erzählt, wie er das auch in seinen Filmen tut: Unaufgeregt, überlegt, gründlich.
„Die Erfindung der Filmkamera ist ein fantastische Sache“, schwärmt Reitz, „Sie hilft uns, Zeit aufzunehmen. Sie macht Bilder, die uns beim Leben zuschauen.“ Der Mensch eigne sich erst im Erinnern seine Biographie an, sagt er. „Das tut der Film auch.“ So könne der Film den Besitz am eigenen Ich bewußt machen. „Heimat kann kein fester Besitz im materiellen Sinn sein, höchstens eine Aufgabe“, ist der Filmautor überzeugt Bei seinem Werk habe er immer mit einem Bein vor dem Abgrund von Nostalgie und Kitsch gesunden.
Angesichts wimmelnder Volksmusiksendungen in kommerzieller Absicht auf den Bildschirmen sieht Reitz einen zunehmenden „Missbrauch des Begriffs ‚Heimat'“.

 
„Bilder, die uns beim Leben zuschauen“: „Heimat“-Regisseur Edgar Reitz.  Foto: Archiv

Fünf Jahre dauerte es ehe das Okay für die dritte „Heimat“-Staffel aus den Chefetagen der öffentlich-rechtlichen Sender kam. Elf Mal schrieb Reitz die Drehbücher neu. In solchen Momenten scheint er weit davon entfernt, „die Rolle eines Träumers einzunehmen,
der immer auch verständnisloses Kind sein muss“, wie er einen Teil seiner Aufgabe als Filmemacher darstellte. Und ist es doch nicht: „Ich wollte nie aufgeben“ sagt er fast trotzig.
Die dritte Staffel des Epos strahlt die ARD nun zum Jahresende aus. Ein ganzes Jahrhundert umspannt die Trilogie mit den Wurzeln im Hunsrück.
Der Regisseur wird energisch, kritisiert die Quotenjagd und plädiert emphatisch für eine andere Fernsehpolitik: „Ich bin mir sicher, dass die Verantwortlichen in den Rundfunkanstalten den Kontakt zu den Zuschauern verloren haben. Der zustimmende Applaus gibt ihm vollends Recht „Immer mehr gebildete Menschen wenden sich vom Fernsehen ab“, beanstandet Reitz. Aber schließlich bietet
Fernsehen ohnehin keine Heimat
Thomas Schmitt

lm Staatstheater wird am 26. und 27. September vorab die dritte „Heimat“ -Staffel gezeigt, In der auch Intendant Georges Delnon mitwirkt.


Artikel in der Rheinzeitung vom 27.02.2004
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