Verfilmtes Reitz-Milieu soll der Vorfreude auf „Heimat“ dienen

Pro-Winzkino“ präsentiert „vergessenen“ Dokumentarfilm über Hunsrück

-me- SIMMERN. Als der Regisseur mit den Dreharbeiten begann, ahnte er nicht, zu welcher Berühmtheit er dem Hunsrück durch seine Arbeit verhelfen würde. Sechs Jahre später wissen wir, was aus dem Projekt „Heimat“ von Edgar Reitz wurde: Ein „Straßenfeger“ während seiner elfteiligen Ausstrahlung im Fernsehen und ein hochgelobtes, mit Superlativen versehenes Kino-Mammutwerk, das mit Erfolg nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in Holland, England, USA, Südafrika, Schweden, Australien und vielen, anderen Ländern zu sehen war.
Weniger bekannt ist ein Nebenprojekt, das im „Heimat“-Rummel regelrecht unterging: „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“ heißt ein weiterer abendfüllender Film, den der gebürtige Morbacher Reitz während seiner Drehbuch-Klausur in Woppenroth mit einem kleinen Aufnahmeteam realisierte. Der Dokumentarstreifen lief zwar 1981 im Programm der „Berlinale“, bekam dort auch gute Kritiken, wurde dann aber nicht in die Kinos gebracht und auch nicht im Fernsehen gezeigt
Die Kulturinitiative „Pro-Winzkino Hunsrück“, die in zehn Tagen „Heimat“ zusammen mit dem Geschichtsverein für Mittelrhein und Vorderhunsrück im Bopparder Capitol-Theater präsentiert, hat das vergessene Reitz-Werk ausgegraben und bringt es in dieser Woche gleichsam als Einstimmung auf das 16-Stunden-Heimat-Marathon in seinem Normalprogramm.
Für viele „Darsteller“ des Films ist es eine erste Begegnung mit den verfilmten Szenen aus ihrem Leben im Jahre 1980. Damals begannen die Dreharbeiten in der Setzerei der „Hunsrücker Zeitung“, die es den Filmleuten besonders angetan hatte. Der Film dokumentiert die handwerklichen Seiten des Simmerner Druckereibetriebes, der seit Generationen die Hunsrücker Geschichte kommentiert und begleitet.
Daneben stehen zahlreiche andere Besonderheiten der Umgebung im Drehbuch: Etwa das Schieferbergwerk Bundenbach oder die Geschichte der Hunsrückbahn. Eine Bauernfamilie mit ihren Problemen wird ebenso porträtiert, wie das Leben der amerikanischen Soldaten auf dem Fliegerhorst Hahn.
Ein alter Hunsrücker, der nach eigenen Aussagen zum letzten Mal zur Wahlurne ging, ist mit von der Partie. Nicht zu vergessen auch der legendäre Sportverein Woppenroth, der es in den 50iger Jahren bis in die Landesliga schaffte. Kenner der Hunsrücker Sportszene wissen, dass der einmalige Erfolg der SV-EU eng mit Trainer Karl-Heinz Heddergott verknüpft war, der nach dem Krieg mit dem Motorrad zum Training und Spiel einpendelte. Der Ruhm mit seiner Hunsrücker Mannschaft war einer der ersten Schritte seiner Laufbahn, die ihn schließlich zum DFB, dann zum 1. FC Köln brachte. Heute trainiert er Fußballer im schottischen Hochland.

Dazwischen immer wieder Einzelgeschichten. Lieder und Musik. „Hunsrücker Stickelcher“.
Der Film hat dennoch kein durchgängiges Thema. Er ist. assoziativ und „unordentlich“, verfährt nach der Dramaturgie einer Wanderung: Einer nimmt sich die Zeit, durch ein Land zu laufen, trifft jemanden auf seinem Weg. Man kommt ins Gespräch, verweilt oder geht ein Stück zusammen – und so folgt das filmische Interesse diesen Leuten nach, ihren alltäglichen Wegen, ihren Bewegungen bei der Arbeit, ihren Geschichten und ihren Erinnerungen. Ein Streifzug durch den Hunsrück, eine Vielfalt vor Geschichten um deutsche Geschichte wat Gegenwart.
Interessant auch, wie Klaus Pohl, ein Berliner Filmkritiker den Dokumentarstreifen nach seiner Erstaufführung charakterisierte: „Es ist ein poetischer und sehr bitterer und sehr harter Film über ein Stück Deutschland, das Hunsrück heißt“

Termine der Vorführung: Donnerstag 8. Januar, 20.30 Uhr; Postlichtspiele Simmern; Freitag, 9. Januar, 20.30 Uhr, Tivoli-Lichtspiele Kastellaun; Samstag Sonntag, 10./11. Januar, 20.15 Uhr, Allianz-Theater Emmelshausen; Montag, 12 Januar. 20 Uhr. Capitol-Theater Boppard.

 Artikel in der Rheinzeitung vom 07.01.87
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