Die zweite Heimat

Pro-Winzkino“ präsentiert „vergessenen“ Dokumentarfilm über Hunsrück

Die gegenwärtige Krise des Autorenfilms ist nach Meinung von „Heimat“-Regisseur Edgar Reitz nur eine vorübergehende Erscheinung. Die Filmkunst sei trotz vieler Gefährdungen unsterblich. Dennoch bedrückt es ihn, daß so viele Filmemacher ihre frühere Position aufgegeben haben. Solche Verzagtheit, wie er es nennt, ist ihm fremd. „Man kann auf Dauer nur eins: entweder Geld verdienen oder die Wahrheit sagen“, meinte Reitz bei einem Diskussionsabend anläßlich einer „Heimat“-Vorführung des Kulturvereins „Die Schnecke“ in Idar-Oberstein.

Seit vier Jahren arbeitet der gebürtige Morbacher an seinem zweiten Großprojekt: „Die zweite Heimat“ ist bereits zur Hälfte im Kasten. 30 Stunden sollen es nach den Vorstellungen von Edgar Reitz bis zum voraussichtlichen Fernseh-Sendetermin im Jahre 1992 werden.
Der Inhalt: Das Hermännche, eine Hauptfigur aus der „ersten Heimat“, verläßt den Hunsrück, um in München als Musiker sein Glück zu suchen. Die Parallelen zum Leben des Regisseurs sind offenkundig. Er beschreibt sein neues Werk als einen Film über das Lebensalter zwischen 20 und 30 – in den 60er Jahren, am Beispiel eines jungen Mannes, der aufgebrochen ist und dem die Großstadt zur zweiten Wurzel seines Lebens wird. Oder: Zur zweiten Heimat.

Während das französische und italienische Fernsehen bereits Verträge für alle 13 Teile unterzeichnet haben, verhält sich das deutsche Fernsehen abwartend. Es hat vorerst nur sieben Teile genehmigt. Reitz: „Die Öffentlich-Rechtlichen trauen sich zur Zeit gar nichts mehr.“
Das erinnert den 57jährigen an die zähen Auseinandersetzungen mit dem WDR während der Dreharbeiten zu „Heimat“. Der Sender wollte zunächst nur vier Stunden finanzieren. In fünf Verträgen wurde dieses Maß dann immer weiter nach oben gesetzt.
Die Abnahme, erinnert sich Reitz, sei filmreif gewesen: Zwölf hohe Herren von WDR und SFB ließen sich während der drei Tage laufenden Vorführung von dem Regisseur kein einziges Wort entlocken. Er hörte etwas von einer Wette. In der ging es darum, ob der Film mehr als vier Prozent Einschaltquote erreichen werde. Erst der Erfolg bei den Filmfestspielen in Venedig ebnete den Weg für eine optimale Sendezeit
Inzwischen ist „Heimat“ in 37 Länder verkauft 11,8 Millionen Mark hat die „Chronik in Bildern“ gekostet, rund 15 Millionen Mark hat sie eingespielt. Den Gewinn kassiert allein das Fernsehen, wie Edgar Reitz betont.

Den weltweiten Erfolg erklärt sich der Regisseur mit einem neuen Heimatbewußtsein. Der Film habe diese Gefühle auf den Punkt gebracht.

Ein festes Projekt für die Zeit nach der „Zweiten Heimat“ gibt es noch nicht. „Vielleicht mache ich einen Kino-Spielfilm zum Ausruhen.“ Er glaubt, daß noch ein erheblicher Nachholbedarf bei der Aufarbeitung der 70er Jahre, insbesondere des Terrorismus‘, besteht. In einem ist er sich sicher: „Bader, Meinhof und Ensslin werden später einmal Legenden wie der Schinderhannes sein.“


Artikel in der Rheinzeitung vom 29.09.89
Hinweis: Alle Rechte (auch Vervielfältigung und Verbreitung) an den Texten und Bildern liegen bei der Rheinzeitung . (www.Rheinzeitung.de) Es liegt die schriftliche Genehmigung des Verlages vor.